Zungenruhelage
Synonyme: Zungenruheposition, physiologische Zungeruhelage
Definition
Die Zungenruhelage, kurz ZRL, beschreibt die Position der Zunge im entspannten Zustand, wenn keine aktive Bewegungsfunktion wie Sprechen, Kauen oder Schlucken stattfindet. Sie spielt eine wichtige Rolle für Atmung, Schluckmuster und Artikulation sowie die Entwicklung der Zahn- und Kieferstellung.
Physiologie
In der idealen Ruhelage liegt die Zungenspitze leicht hinter den oberen Schneidezähnen im Bereich der Papilla incisiva des Gaumens, während der Zungenrücken den Gaumen sanft berührt. Die seitlichen Zungenränder berühren die Oberkieferseitenzähne oder liegen im Gaumenbogen. Die Lippen sind locker geschlossen, die Zahnreihen stehen entweder im leichten Kontakt oder sind minimal geöffnet. Die Atmung erfolgt durch die Nase ohne kompensatorische Mundöffnung.
In dieser Position besteht eine stabile Gleichgewichtslage zwischen Zunge, Lippen, Wangenmuskulatur und Kieferstellung.
Funktionelle Bedeutung
- Kieferentwicklung: Dauerhafter Zungendruck am Gaumen fördert transversales Wachstum des Oberkiefers
- Zahnstellung: Das Gleichgewicht zwischen intraoraler und extraoraler Muskulatur stabilisiert Zahnposition.
- Schluckmuster: Die Ruhelage beeinflusst Startposition für physiologisches Schlucken.
- Atmung: Die ZRL unterstützt nasale Atemführung durch geschlossene Lippen.
- Artikulation: Die ZRL bietet eine optimale Startposition für klare Lautbildung. Sie ist bedeutsam für die Sprachentwicklung und wirkt Artikulationsfehlern vor, z.B. einem Sigmatismus.
Diagnostik
Die Beobachtung des Patienten erfolgt im Ruhezustand. Beurteilt werden unter anderem folgende Kriterien:
- Position der Zungenspitze z.B. gegen oder zwischen den Zähnen, zu tief oder lateral
- Tonus und Lage des Zungenkörpers
- Lippen- und Kieferhaltung in Ruhe
- Mundschluss und Nasenatmung
- Einflüsse auf Schluck- und Artikulationsmuster
- Spontane Zungenbewegungen oder -pressen
Normvarianten
Im frühen Kindesalter besteht durch die Proportionen des Milchgebisses oft eine etwas niedrigere Zungenruhelage. Mit zunehmendem Alter stabilisiert sich bei Jugendlichen die ZRL durch die Annäherung an die erwachsene Gaumenform.
Beim Erwachsenen kann sich die physiologische Lage durch Zahnverlust oder prothetische Versorgung wieder ändern. Das gilt insbesondere für ältere Menschen, bei denen es durch einen verringerten Muskeltonus zu einer leichten Absenkung der Ruhelage kommt.
Klinik
Die Zungenruhelage kann durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt werden. Dazu zählen u.a.:
- Habituelle Faktoren wie Daumenlutschen, Schnuller oder Lippenbeißen
- Mundatmung, z.B. bei adenoiden Vegetationen oder chronischer Rhinitis
- Neuromuskuläre Störungen mit Hypotonie der Zungenmuskulatur
- Zahnverlust
- Kieferfehlstellung bzw. geänderte Bisslage
- Orofaziale Operationen (z.B. Tumorresektion)
Falsche Zungenruhelagen sind:
- Tiefe Zungenlage: Zungenrücken liegt im Mundboden, kein Gaumenkontakt.
- Interdentale Lage: Zungenspitze liegt zwischen den Frontzähnen.
- Laterale Lage: Zungenränder drücken gegen die Seitenzähne.
- Asymmetrische Lage: Zunge weicht nach links oder rechts ab.
Therapieansätze
Die Behandlung einer fehlerhaften Zungenruhelage erfolgt i.d.R. im Rahmen einer logopädischen Behandlung, z.B. durch eine myofunktionelle Therapie.
Mögliche Therapieansätze sind:
- Myofunktionelle Therapie nach A. Kittel oder Padovan
- Zungenspitzenübungen zur gezielten Ansteuerung des korrekten Ruhepunkts
- taktil-kinästhetische Wahrnehmungsschulung
- Einbindung in Schluck-, Atem- und Sprechübungen
- Förderung von Lippenschluss und Nasenatmung
Literatur
- Heinzelmann et al., Myofunktionelle Therapie. Welche Faktoren wirken sich auf das Therapieergebnis aus, 2009, S. 6-11
- Furtenbach, M., & Wallner, W. (2009). Myofunktionelle Therapie (MFT) im orofazialen Bereich–praktische und kritische Aspekte aus logopädischer Sicht. Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie, 41(04), 259-264.