Koinzidenzdetektor
Englisch: coincidence detector
Definition
Ein Koinzidenzdetektor ist ein zellulärer oder molekularer Mechanismus, der nur dann aktiviert wird, wenn mehrere Signale zeitlich und/oder räumlich gleichzeitig auftreten (Koinzidenz). Solche Systeme erlauben es Zellen, insbesondere Neuronen, komplexe Informationen zu verarbeiten und selektiv auf relevante Reizkombinationen zu reagieren.
Hintergrund
Koinzidenzdetektion ist ein fundamentaler Mechanismus der neuronalen Informationsverarbeitung, des Lernens, der Gedächtnisbildung und der sensorischen Integration. Sie ermöglicht es Neuronen, zwischen zufälliger und bedeutungsvoller Aktivität zu unterscheiden, etwa bei der Assoziation von Sinneswahrnehmungen oder bei der Lokalisation von Reizen im Raum. Koinzidenzdetektion spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle bei der neuronalen Plastizität.
Beispiele
NMDA-Rezeptor
Der NMDA-Rezeptor ist typisches Beispiel eines Koinzidenzdetektors. Dieser glutamaterge Ionenkanal öffnet sich nur, wenn gleichzeitig Glutamat an ihn bindet (präsynaptisches Signal), Glycin oder D-Serin vorhanden sind (erstes koinzidentes Signal, z.B. aus Astrozyten freigesetzt) und die postsynaptische Membran bereits depolarisiert ist (zweites koinzidentes Signal, z.B. durch den AMPA-Rezeptor). Erst dann wird die Mg²⁺-Blockade entfernt. Diese doppelte Anforderung macht den Rezeptor sensitiv für eine zeitlich korrelierte synaptische Aktivität, die wichtig für Prozesse wie die Langzeitpotenzierung (LTP) ist.
Neurone der medialen superioren Olive
Im auditorischen System detektieren nach dem Jeffress-Modell Neurone des Nucleus olivaris superior medialis (MSO) die Richtung von Schallquellen durch den zeitlichen Bezug der Aktionspotenziale von beiden Ohren (binaurales Hören). Nur wenn Signale aus dem linken und rechten Ohr zeitgleich an einem bestimmten postsynaptischen Neuron eintreffen, wird ein Aktionspotenzial ausgelöst. Die Struktur der "delay lines" und die präzise Verarbeitung im Mikrosekundenbereich ermöglichen die räumliche Lokalisation von Schallquellen. Auf diese Weise ist das menschliche Gehör in der Lage, eine Mittellinienabweichung der Schallquelle ab 1° bzw. einen Laufzeitunterschied ab ca. 10 µs zu detektieren.
Spike-Timing-abhängige Plastizität
Bei der Spike-Timing-abhängigen Plastizität (STDP) werden Synapsen abhängig vom zeitlichen Abstand zwischen präsynaptischem und postsynaptischem Spike verstärkt oder geschwächt. Eine präsynaptische Aktivität, die kurz vor der postsynaptischen Erregung liegt, führt zur Langzeitpotenzierung, während die umgekehrte Reihenfolge zur Langzeitdepression (LTD) führt.
Adenylatzyklase Typ I
Die Adenylatzyklase Typ I (ADCY1) wird vor allem im Hippocampus exprimiert und nur dann aktiviert, wenn gleichzeitig intrazelluläres Ca²⁺ (z.B. durch postsynaptische Depolarisation) und ein Gs-Protein-vermitteltes Signal (z.B. durch Beta-Adrenozeptoren) vorliegt. Die Integration dieser Signale führt zur erhöhten cAMP-Produktion und beeinflusst nachgeschaltete Signalwege.
Clathrin-vermittelte Endozytose
Die Clathrin-vermittelte rezeptorgestützte Endozytose greift auf Adapterproteine (z. B. AP-2, Epsin, FCHo, CALM) zwischen bestimmten Transmembranproteinen, Membranlipiden und Clathrin zurück. Eine Anlagerung von Clathrin wird nur ermöglicht, wenn mehrere koinzidente Signale vorhanden sind. In der Regel sind dies:
- spezifische Membranlipide: z.B. Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PI(4,5)P2), das in der inneren Schicht der Plasmamembran angereichert ist
- Endozytose-Signale auf Transmembranproteinen: z. B. YXXΦ- oder Dileucin-Motive im zytosolischen Teil der Proteine
Nur bei koinzidentem Auftreten beider Signale ändert das Adapterprotein seine Konformation, bindet stabil an Cargo und Plasmamembran und rekrutiert weitere nachfolgende Komponenten des Clathrin-Endozytose-Systems.
Literatur
- Kandel ER et al.: Principles of Neural Science. 6. Aufl., McGraw-Hill Medical, New York.
- Purves D. et al.: Neuroscience. 6. Aufl., Oxford University Press, Oxford.
- Greengard P.: The neurobiology of slow synaptic transmission. Science.
- Caporale N. et al.: Spike Timing-Dependent Plasticity: A Hebbian Learning Rule. Annual review of neuroscience. Vol. 31, 2008.