Glianarbe
Englisch: glial scar
Definition
Eine Glianarbe ist ein reaktives Narbengewebe, das im Rahmen von Schädigungen des zentralen Nervensystems (ZNS) entsteht.
Pathophysiologie
Überblick
Nach Verletzung oder Schädigung von Nervenzellen kommt es zu einer Freisetzung verschiedener zellulärer Mediatoren, hauptsächlich DAMPs, ATP und reaktiver Sauerstoffspezies (ROS). Diese Mediatoren vermitteln eine Rekrutierung von Immunzellen und eine Aktivierung von Gliazellen mit Freisetzung von extrazellulären Matrixbestandteilen.
Die Bildung der Glianarbe lässt sich dabei grob in 3 Phasen unterteilen, deren Vorgänge sich jedoch stark überlappen:
- Akutphase (Stunden sich wenige Tage nach der Läsion): Sie ist geprägt von einer Entzündungsreaktion mit Aktivierung von Mikroglia und Infiltration von Immunzellen (z.B. neutrophile Granulozyten, Monozyten). Es kommt zu einer Frühreaktion der Astrozyten mit Hypertrophie und Expression von saurem Gliafaserproteins (GFAP).
- Subakute Phase (Tage bis Wochen): Für diese Phase ist eine starke Proliferation und Migration von Astrozyten in das Läsionsareal charakteristisch. Die Astrozyten lagern sich in einer dichten, netzartigen Struktur an den Läsionsrand an und isolieren so das geschädigte Gewebe. Es kommt zur Expression von Chondroitinsulfat-Proteoglykanen (CSPGs) und Bildung einer wachstumshemmenden extrazellulären Matrix.
- Chronische Phase (Wochen bis Monate bzw. Jahre): Es bildet sich durch fortlaufende Faserproduktion eine stabile Glianarbe.
Mikroglia
Die Präsentation von DAMP-abgleiteten Antigenen an naive T- und B-Zellen führt zu deren Proliferation und zu einer proinflammatorischen Immunantwort. Zelltrümmer und die im Rahmen der Waller-Degeneration von betroffenen neuronalen Axonen freigesetzen Myelinbestandteile werden von der Mikroglia phagozytiert. Dabei werden myelinassoziierte Molekülen wie Nogo-A, Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) und Myelin-assoziiertes Glykoprotein (MAG) freigesetzt, die eine neuronale Regeneration hemmen.
Darüber hinaus setzt die Mikroglia Wachstumsfaktoren (z.B. TGF-β, IGF-1) frei, welche die Proliferation der Astrozyten fördern und die Expression von CSPGs induzieren.
Astrozyten
Die von der Mikroglia aktivierten Astrozyten proliferieren und überlappen sich mit ihren sternförmigen Zellfortsätzen, um das geschädigte Gewebe abzugrenzen. Ein charakteristisches Merkmal dieser Astrozyten ist die massive Hochregulation von Intermediärfilamenten, insbesondere des sauren Gliafaserproteins (GFAP). Diese Proteine verstärken das Zytoskelett der Astrozyten und tragen zur mechanischen Stabilität der Narbe bei.[1]
Parallel kommt es zur Freisetzung von Chondroitinsulfat-Proteoglykanen (CSPG) wie Aggrecan, Neurocan und Versican in den Extrazellulärraum.[2] CSPGs sind große Moleküle, die stark negativ geladene Zuckerseitenketten tragen. Sie hemmen das Ausprossen von Nervenzellfortsätzen, indem sie an Rezeptoren auf der Oberfläche von Neuronen binden und wachstumsinhibierende Signalwege aktivieren.
Funktion
In der Akutphase nach einer ZNS-Verletzung ist die Bildung einer Glianarbe ein überlebenswichtiger Mechanismus. Sie grenzt den geschädigten Bereich ein und verhindert so die Ausbreitung von toxischen Substanzen, Entzündungszellen und exzitatorischen Neurotransmittern in das umliegende gesunde Gewebe. Reaktive Astrozyten helfen bei der Wiederherstellung der Blut-Hirn-Schranke und reduzieren Ödeme.
Tierexperimentelle Studien, in denen die Bildung von Glianarben genetisch unterbunden wurde, zeigen eine verschlechterte Erholung, eine größere Läsionsausdehnung und erhöhten neuronalen Zelltod.[1]
Ein funktioneller Nachteil der Glianarbe ist, dass sie sich zu einer dichten Barriere verfestigt, welche die neuronale Regeneration im ZNS verhindert.
Vorkommen
Glianarben treten bei einer Vielzahl von Erkrankungen und Verletzungen des ZNS auf, z.B. bei
Klinik
Die hemmende Wirkung der Glianarbe ist einer der Hauptgründe für das Scheitern der Regeneration und die daraus resultierenden neurologischen Defizite nach Rückenmarksverletzungen oder Hirninfarkten. Daher ist die Glianarbe ein vielversprechendes Ziel für therapeutische Interventionen. Die Forschung konzentriert sich auf verschiedene Strategien, die darauf abzielen, die negativen Aspekte der Narbe abzuschwächen, ohne ihre protektiven Funktionen zu minimieren. Mögliche Ansätze sind die Modulation der Astrozytenaktivität, ein Abbau der hemmenden extrazellulären Matrix oder der Einsatz neuronaler Stammzellen (NSCs).
Literatur
- Bradbury, E.J., Burnside, E.R. Moving beyond the glial scar for spinal cord repair. Nat Commun 10, 3879 (2019). https://doi.org/10.1038/s41467-019-11707-7
- Adams, K.L., Gallo, V. The diversity and disparity of the glial scar. Nat Neurosci 21, 9–15 (2018). https://doi.org/10.1038/s41593-017-0033-9
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Anderson, M., Burda, J., Ren, Y. et al. Astrocyte scar formation aids central nervous system axon regeneration. Nature 532, 195–200 (2016).
- ↑ Gesteira, Tarsis F.; Coulson-Thomas, Yvette M.; Coulson-Thomas, Vivien J. Ph.D.: Anti-inflammatory properties of the glial scar. Neural Regeneration Research 11(11):p 1742-1743, November 2016. | DOI: 10.4103/1673-5374.194710