Gallensäureverlust-Syndrom
Definition
Das Gallensäureverlust-Syndrom ist eine Erkrankung, bei der es zu einem funktionell relevanten Mangel an Gallensäuren kommt.
Physiologie
Physiologischerweise unterliegen Gallensäuren dem enterohepatischen Kreislauf. In das Duodenum sezernierte Gallensäuren werden nach Erfüllung ihrer Funktion im terminalen Ileum resorbiert. Es kommt täglich zu einem physiologischen Gallensäureverlust von etwa 0,5 g über den Stuhl. Diese Menge muss durch Synthese neuer Gallensäuren in der Leber ausgeglichen werden.
Ätiologie
Ein Gallensäureverlust kann auf zwei Wegen entstehen.
Durch ein Fehlen des terminalen Ileum, beispielsweise nach einer Resektion im Rahmen eines Morbus Crohn, erfolgt keine Rückresorption der Gallensäuren. Das fehlende terminale Ileum ist die mit Abstand häufigste Ursache des Gallensäureverlusts.
Eine weitere, seltenere Ursache ist ein Blindsack-Syndrom, bei dem die bakterielle Zersetzung von Gallensäuren in einem Darmblindsack zum indirekten Gallensäureverlust führt.
Pathophysiologie
Gelangen Gallensäuren ins Colon, resultiert aus der osmotischen Wirkung der Gallensäuren eine chologene Diarrhö. Durch einen funktionellen Mangel an Gallensäuren, der bei einem Gallensäurenverlust entsteht, kommt es weiterhin zu Störungen bei der Resorption von Fetten und entsprechend auch fettlöslichen Vitaminen. Die Fettresorptionsstörung manifestiert sich als Steatorrhö.
Weitere systemische Komplikationen des Gallensäureverlusts sind eine vermehrte Lithogenität der Galle, da die emulgierenden Gallensäuren auch hier fehlen und die vermehrte Bildung von Harnsteinen vom Calciumoxalat-Typ. Ursache hierfür ist eine vermehrte Resorption von Oxalsäure, da im Darm vermehrt Kalzium an freie Fettsäuren gebunden wird.
Klinik
Die zwei Leitsymptome eines Gallensäureverlust-Syndroms sind die chologene Diarrhö und die Steatorrhö. Als Folge kommt es zu Gewichtsverlust, Analekzemen (Reizung der Afterregion) und Hypovitaminosen.
Ist die chologene Diarrhö führend, spricht man auch von einem kompensierten Gallensäureverlust. Tritt eine Steatorrhö hinzu, besteht ein dekompensierter Gallensäureverlust.
Diagnostik
Führend sind Anamnese und Klinik. Besteht eine typische Situation für den Gallensäureverlust, gilt eine Gabe von Colestyramin, einem Austauscherharz, als diagnostischer Test. Bessert sich die chologene Diarrhö hierauf, gilt ein Gallensäureverlust-Syndrom in der Regel als gesichert.
Ein spezifischer, jedoch kaum angewendeter Test zum Nachweis eines Gallensäureverlust-Syndroms ist der 14C-Glykocholat-Atemtest.
Als Goldstandard für die Diagnostik eines Gallensäureverlustsyndroms gilt die SeHCAT-Szintigraphie. Dieser nuklearmedizinische Test beinhaltet wiederholte Aufnahmen in gewissen zeitlichen Abständen und ist daher in der Lage, mehrere Zyklen des Gallensäurekreislaufs abzubilden. Diese Untersuchung ist im Normalfall mit einer Strahlenbelastung von etwa 0,26 mSv verbunden.
Der quantitative Nachweis von Gallensäuren im Stuhl mit enzymatischen, chromatographischen oder massenspektrometrischen Methoden wird nur im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen durchgeführt.
Therapie
Bei moderatem Gallensäureverlust können Austauscherharze wie Colestyramin die Symptomatik positiv beeinflussen und die Situation beherrschbar gestalten. Jedoch kann die Gabe von Colestyramin bei starker chologener Diarrhö eine Steatorrhö noch weiter verstärken.
In jedem Fall sollten Malabsorptionsfolgen in Form von Hypovitaminosen durch effektive Substitution behandelt werden. Zusätzliche symptomatische Linderung verschafft eine Restriktion der Fettaufnahme und die Einnahme mittelkettiger Fettsäuren (MCT-Formula-Diät).
Grundsätzlich ist ein Gallensäureverlust kausal nur durch Beseitigung der Ursache erfolgreich behandelt werden. Möglich ist dies bei Blindsacksyndromen durch eine chirurgische Revision, bei einem Morbus Crohn mit Ileitis terminalis durch Kontrolle der entzündlichen Aktivität.