Doppeldaumen
Synonyme: Radiale Polydaktylie, Daumendoppelanlage, akzessorischer Daumen
Englisch: thumb duplication
Definition
Der Doppeldaumen, kurz DD, ist eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen der oberen Extremität. Es handelt sich um eine Verdopplung des Daumens in unterschiedlicher Ausprägung. Die morphologischen Erscheinungsformen reichen von einem kleinen, funktionslosen Anhängsel bis hin zu zwei nahezu vollständigen Daumen, teils mit triphalangealen Elementen, atypischen Sehnenverläufen und knöchernen Deformierungen.
Terminologie
Der Doppeldaumen ist eine Form der präaxialen Polydaktylie, da sich der akzessorische Finger auf der radialen Seite (Daumen) der Hand befindet. Polydaktylien auf der ulnaren Seite der Hand (Kleinfinger) werden als postaxiale Polydaktylien bezeichnet.
Epidemiologie
Die Inzidenz beträgt ca. 2,1 von 10.000 Lebendgeburten. Die Häufigkeit ist ethnisch unterschiedlich, mit einer höheren Prävalenz in der weißen und asiatischen Population. In den meisten Fällen tritt die Fehlbildung sporadisch auf und betrifft nur eine Hand. Eine genetische Vererbung kann jedoch bei einer Kombination mit einem triphalangealen Daumen oder Syndromen wie dem Greig-Syndrom vorliegen.
Klassifikation
Zur weiteren Einteilung des Doppeldaumens werden verschiedene Klassifikationen verwendet. Die in Deutschland am weitesten verbreitete Einteilung ist die Wassel-Klassifikation. Sie differenziert den Doppeldaumen anhand knöcherner Veränderungen in der Bildgebung:
- Typ I: Gespaltene distale Phalanx
- Typ II: Doppelte distale Phalanx (zweithäufigster Typ, ca. 20 %)
- Typ III: Gespaltene proximale Phalanx
- Typ IV: Doppelte proximale Phalanx (häufigster Typ mit ca. 40 %)
- Typ V: Gespaltenes Metakarpale
- Typ VI: Doppeltes Metakarpale
- Typ VII: Doppeldaumen mit triphalangealem Anteil
Weitere Klassifikationen sind:
- Swanson-Klassifikation: Eine morphologische Einteilung in Doppelbildungen.
- Oberg-Manske-Tonkin (OMT)-Klassifikation: Basierend auf embryonalen und molekularen Erkenntnissen beschreibt sie die Fehlbildung als „Failure of Axis Formation/Differentiation of Handplate“.
- Rotterdam-Klassifikation: Eine erweiterte Klassifikation zur besseren Beurteilung der operativen Planung und klinischen Vergleichbarkeit.
Symptome
Die klinische Präsentation ist variabel und reicht von geringfügigen Weichteilduplikationen bis hin zu vollständigen Verdopplungen. In der Regel sind beide Doppeldaumen hypoplastisch, wobei meist der ulnare Daumenanteil besser entwickelt ist.
Auffällige Symptome sind:
- Seitliche Fehlstellungen des Daumens
- Atypische Beugesehnenverläufe mit exzentrischer Anheftung
- Einschränkung der Daumenbeweglichkeit
- Asymmetrische Nagelanlage
- Funktionelle Defizite bei Griffkraft und Feinmotorik
Diagnostik
Die Diagnostik umfasst:
- Klinische Untersuchung: Beurteilung von Größe, Achsstellung, Stabilität und Beweglichkeit beider Daumen
- Bildgebung: Röntgenaufnahmen zur Bestimmung der knöchernen Doppelung und Achsenabweichungen
- Funktionstests: Evaluation der Strecksehnen- und Beugesehnenfunktion sowie des Sattelgelenks
Therapie
Die chirurgische Behandlung sollte i.d.R. vor dem 5. Lebensjahr abgeschlossen sein. Kleinere Operationen werden bereits im ersten bzw. zweiten Lebensjahr angestrebt, komplexere Eingriffe ggf. erst später. Das Ziel ist die Rekonstruktion eines stabilen, funktionell und anatomisch korrekten Daumens. Die operative Strategie richtet sich nach der Schwere der Hypoplasie:
- Einfache Resektion: Bei flottierendem, nicht funktionalem Daumen.
- Resektion und Rekonstruktion: Entfernung des hypoplastischen Daumens mit Korrektur der Achse und Sehnenverläufe.
- Bilhaut-Cloquet-Operation: Fusion zweier hypoplastischer Daumen zu einem funktionsfähigen Daumen.
- On-Top-Plastik: Transposition eines distalen Daumenanteils auf den besser entwickelten proximalen Anteil.
- Pollizisation: Bei extremer Hypoplasie beider Daumen ist eine Transplantation des Zeigefingers als Ersatz möglich.
Nachbehandlung
Zur Verbesserung der Wundheilung erfolgt eine temporäre Immobilisation mittels Gips oder Kunststoffschiene. Nach Sehnentransfer und Osteotomie ist eine Ruhigstellung von bis zu sechs Wochen erforderlich.
Die postoperativen Maßnahmen umfassen die passive Mobilisation der Gelenke, eine Narbenpflege zur Vermeidung von Kontrakturen und eine Kompressionsbehandlung bei prominenten Weichteilen.
Komplikationen
Zu den postoperativen Komplikationen zählen:
- Z-Deformität: Durch unzureichende Korrektur knöcherner Fehlstellungen oder Sehnenpathologien
- Seitenbandinstabilität: Führt zu funktionellen Defiziten
- Eingeschränkte Beweglichkeit: Vor allem bei unzureichender Korrektur der Sehnenverläufe
Prognose
In den meisten Fällen wird eine ausreichende Funktionalität des verbleibenden Daumens erreicht. Aufgrund der verbleibenden Hypoplasie bleibt der Daumen jedoch oft kleiner als auf der Gegenseite. In etwa 15 % der Fälle sind spätere Korrekturoperationen erforderlich. Die besten Ergebnisse werden in spezialisierten Fehlbildungszentren erzielt.
Quelle
- Hülsemann et al., Diagnostik und Therapie des Doppeldaumens, Handchirurgie Scan 05(04): 319 - 332, Thieme, 2016