Okulomotorische Apraxie
nach David Glendering Cogan (1908-1993), US-amerikanischer Augenarzt
Synonym: Cogan-II-Syndrom (kongenitale Form), OMA
Englisch: oculomotor apraxia
Definition
Als okulomotorische Apraxie, kurz OMA, bezeichnet man eine Augenbewegungsstörung, bei der die Betroffenen keine Willkürsakkaden durchführen können. Dadurch ist z.B. keine Fixierung von bewegten Objekten möglich. Die Patienten führen typischerweise kompensatorische Kopfschleuderbewegungen durch, um Sakkaden zu generieren.
Epidemiologie
Es handelt sich um eine seltene Erkrankung, Inzidenzdaten sind nicht verfügbar. Zur kongenitalen Form existieren nur wenige Fallbeschreibungen. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.[1][2]
Ätiopathogenese
Grundsätzlich unterscheidet man eine kongenitale Form und eine erworbene Form der OMA. Bei beiden Erkrankungsformen ist die willkürliche Generierung von Sakkaden gestört, der vestibulookuläre Reflex (VOR) jedoch intakt. Durch passive Kopfbewegungen können also Sakkaden ausgelöst werden.
Kongenitale Okulomotorische Apraxie
Die kongenitale OMA (COMA, Cogan-II-Syndrom) tritt meist sporadisch auf, gelegentlich liegt eine familiäre Häufung vor. Die Ätiologie ist weitgehend unklar. Eine genetische Ursache wird angenommen, wobei zugrundeliegende Gendefekte oder Vererbungsmuster bisher (2024) unklar sind. Eine mögliche Assoziation mit Mutationen im NPHP1-Gen wurde in 2 Fällen beschrieben.[3] Möglicherweise handelt es sich bei der COMA auch nur um ein Symptom anderer Entwicklungsstörungen.[4][5] In vielen Fällen ist die COMA mit einer psychomotorischen Entwicklungsverzögerung, einer Dyslexie, leichten Koordinationsstörungen oder einem Strabismus vergesellschaftet.[1]
Erworbene Okulomotorische Apraxie
Willkürliche Blicksakkaden werden normalerweise in frontoparietalen Kortexanteilen (z.B. frontales Blickzentrum) generiert und über den Colliculus superior an Hirnstamm und Cerebellum weitergeleitet.[6][7] Ursache der erworbenen OMA sind meist bilaterale Läsionen des frontoparietalen Kortex,[1] z.B. durch Hirninfarkte oder eine multiple Sklerose.[6] Durch die Läsionen wird die willkürliche Sakkadenbildung gestört. Insbesondere ist die Latenz der Sakkade erhöht und die Amplitude vermindert.[1][7] Als Auslöser einer rein vertikalen OMA wurden auch bilaterale Thalamusläsionen beschrieben.[1] Die OMA kann auch Teil anderer Störungen sein, beispielsweise bei(m)
Klinik
Grundsätzlich kann eine OMA zwei Formen annehmen. Entweder ist ein Lösen des Blickes von einem fixierten Objekt erschwert (sogenannte spasmodische Fixation, löst sich bei Verschwinden des Objektes), oder es ist nur die sakkadische Objektfixierung gestört.[1][3] Es können auch beide Störungen (z.B. im Wechsel) auftreten.
Kongenitale Okulomotorische Apraxie
Bei der COMA zeigt sich die Besonderheit, dass nahezu isoliert horizontale Sakkaden gestört sind. Durch die Störung der Objektfixierung resultiert oft zunächst der Eindruck, die betroffenen Kinder seien blind. Im weiteren Verlauf beginnen die Kinder, kompensatorisch charakteristische Kopfschleuderbewegungen zu nutzen, um über Auslösung des VOR ipsiversive Sakkaden generieren zu können. Oft werden für das Lösen des Blickes auch Blinzelbewegungen genutzt.[1][7]
Die Augenbewegungsstörung bessert sich häufig während des Schulalters.[5]
Erworbene Okulomotorische Apraxie
Bei erworbener OMA können sowohl horizontale als auch vertikale Sakkaden gestört sein. Auch hier kommen Blinzel- oder Kopfbewegungen wie bei der COMA vor, jedoch oft in wesentlich geringerem Ausmaß.[1]
Diagnostik
Die Diagnose wird vor allem in der neurologischen Untersuchung durch Sakkadenprüfung gestellt, bei der der Patient abwechselnd zwei Objekte fixieren soll, was nicht gelingt. Auch Blickfolgebewegungen sind stark erschwert, sehr langsame Objekte können jedoch verfolgt werden.[5] Der Halmagyi-Test oder optokinetisch generierte kompensatorische Sakkaden sind ungestört. Auch die Blickstabilisierung beim Puppenkopfphänomen ist erhalten.[11]
Eventuell kann bei der Prüfung der Okulomotorik auch eine Okulographie ("Eye-Tracking") hilfreich sein.
Zudem muss eine Ursachendiagnostik erfolgen.
Differenzialdiagnostik
Als Differenzialdiagnose des COMA ist u.a. das Joubert-Syndrom zu bedenken.[4] Auch können andere genetische Störungen (z.B. Ataxia teleangiectatica, Morbus Gaucher, Niemann-Pick-Syndrom) zu Sakkadenstörungen führen, hierbei sind jedoch optokinetische und vestibuläre Nystagmussakkaden ebenfalls gestört.[12]
Eine mögliche Differenzialdiagnose der erworbenen OMA sind supranukleäre Blickparesen, insb. die progressive supranukleäre Blickparese. Auch bei dieser ist das Puppenkopfphänomen erhalten – jedoch kann der Patient nicht durch Kopfbewegung oder Blinzeln Sakkaden generieren.[10][13]
Therapie
Eine kausale Therapie existiert für angeborene Formen nicht. Bei erworbenen Formen kann u.U. die Ursache therapiert werden. Da die Störung der Objektfixierung im Alltag hochgradig einschränkend ist, sind vor allem rehabilitative Maßnahmen (z.B. Augenbewegungstraining[13]), sinnvoll.
Weblinks
- Befund einer erworbenen OMA (Video): Acquired Ocular Motor Apraxia in Hypoxic-Ischemic Encephalopathy, Neuroophthalmology Virtual Education Library, University of Utah, 2021.
- Erstpublikation: Cogan, Adams, A type of paralysis of conjugate gaze (ocular motor apraxia). Archives of Ophthalmology, 1953.
Leitlinie
- Leitlinie Augenbewegungsstörungen inklusive Nystagmus der DGN im AWMF-Register, Stand 2021.
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 Thömke (Hrsg.), Augenbewegungsstörungen. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 2008.
- ↑ Apraxie, okulomotorische, Typ Cogan auf Orphanet, 2006. Aufgerufen am 14.08.2024.
- ↑ 3,0 3,1 Betz et al., Children with ocular motor apraxia type Cogan carry deletions in the gene (NPHP1) for juvenile nephronopthisis. The Journal of Pediatrics, 2000.
- ↑ 4,0 4,1 Schröder et al., The genetic spectrum of congenital ocular motor apraxia type Cogan: an observational study, continued. Orphanet Journal of Rare Diseases, 2023.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 Steinlin, Thun-Hohenstein, Boltshauser, Kongenitale okulomotorische Apraxie - Präsentation - Entwicklungsprobleme - Differentialdiagnose. Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, 1992.
- ↑ 6,0 6,1 Steffen, Kaufmann (Hrsg.) Strabismus. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 2020.
- ↑ 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 Kassavetis et al., Eye Movement Disorders. Movement Disorders - Clinical Practice, 2022.
- ↑ Kerkhoff, Heldmann, Bálint-Syndrom und assoziierte Störungen. Anamnese - Diagnostik - Behandlungsansätze. Der Nervenarzt, 1999.
- ↑ Innes et al., Oculomotor Apraxia as an Early Presenting Sign of Juvenile‐Onset Huntington's Disease. Movement Disorders - Clinical Practice, 2023.
- ↑ 10,0 10,1 Schweyer et al., Pearls & Oysters: Ocular motor apraxia as essential differential diagnosis to supranuclear gaze palsy - Eyes Up. Neurology, 2018.
- ↑ Trobe, Acquired Ocular Motor Apraxia in Hypoxic-Ischemic Encephalopathy, Neuroophthalmology Virtual Education Library, University of Utah, 2021.
- ↑ Hufschmidt et al. (Hrsg.), Neurologie compact. 9., vollständig überarbeitete Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 2022.
- ↑ 13,0 13,1 Leitlinie Augenbewegungsstörungen inklusive Nystagmus der DGN im AWMF-Register, Stand 2021.
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