Strukturpathologie
Definition
Die Strukturpathologie bezeichnet in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie Defizite bzw. Störungen von psychischen Funktionen, die für eine stabile Selbst- und Objektwahrnehmung, Affektregulation, Impulskontrolle, Ich-Funktion und Beziehungsgestaltung erforderlich sind. Sie erleichtert das Verständnis früh entwicklungsbedingter psychischer Störungen.
Hintergrund
Der Begriff entstammt der psychoanalytisch begründeten Objektbeziehungstheorie (u.a. Kernberg, 1984) sowie der operationalisierten psychodynamischen Diagnostik (OPD). "Struktur" im psychodynamischen Sinne beschreibt die relativ stabilen psychischen Verarbeitungsmechanismen, die durch frühe Beziehungserfahrungen geprägt werden. Störungen in der Ausbildung dieser Strukturen – etwa infolge von Deprivation, Traumatisierung oder unsicherer Bindung – führen zu strukturellen Defiziten bzw. Vulnerabilitäten.
Dimensionen
Im OPD-2-System werden strukturelle Fähigkeiten in vier Funktionsbereichen erfasst:
- Selbstwahrnehmung (z.B. Affektdifferenzierung, Identitätsklarheit)
- Selbstregulation (z.B. Impulskontrolle, Selbstwertregulation)
- Objektwahrnehmung (z.B. Differenzierung von Selbst und Objekt, Ganzheitlichkeit)
- Beziehungsfähigkeit (z.B. Empathie, Internalisierung)
Diese Bereiche werden differenziert auf einem Kontinuum von "gut integriert" bis "desintegriert" eingeschätzt. Die Strukturpathologie beschreibt hierbei die Ausprägung struktureller Defizite, wie sie typischerweise bei Persönlichkeitsstörungen (insb. Borderline, narzisstische oder histrionische PS) beobachtet werden.
Abgrenzung
Im Unterschied zur Strukturpathologie beschreibt die Konfliktpathologie unbewusste Ziel- oder Wertekonflikte zwischen psychischen Instanzen (z.B. Autonomie vs. Abhängigkeit, Unterwerfung vs. Kontrolle). Während Konfliktpathologien auf psychischen Spannungen bei grundsätzlich intakter Struktur beruhen und häufig gut therapierbar sind, erfordern strukturelle Störungen stärker stützende Interventionen und eine stabilisierende Therapie.
Klinische Relevanz
Die Diagnose und Einschätzung struktureller Pathologien ist für die Therapieplanung wichtig. Eine niedrig integrierte Struktur erfordert eine modifizierte therapeutische Haltung (z.B. stärkere Ich-Stützung, höhere Strukturgebung, langsamere Konfrontation) und beeinflusst Indikation, Prognose und Setting.
Differenzialdiagnose
Die Strukturpathologie ist abzugrenzen von rein funktionellen Störungen (z.B. situative Anpassungsschwächen), neurobiologisch bedingten Defiziten und Persönlichkeitsstörungen.
Literatur
- OPD-Arbeitskreis (Hrsg.) (2023). OPD-2. Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik. Hogrefe.
- Wöller, W., & Kruse, J. (2023). Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Schattauer.
- Kernberg, O. (1984). Schwere Persönlichkeitsstörungen. Suhrkamp.