Grundkonflikt
Definition
Ein Grundkonflikt bezeichnet in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie eine unbewusste, meist in der Kindheit entstandene und persistierende psychische Spannungsstruktur. Der Konflikt geht auf nicht lösbare Widersprüche zwischen gegensätzlichen inneren Bedürfnissen und äußeren Beziehungserfahrungen zurück. Grundkonflikte gelten als Grundlage neurotischer Symptome und psychischer Störungen.
Hintergrund
Das Konzept des Grundkonflikts stammt aus der psychoanalytischen Neurosenlehre und wurde insbesondere im Rahmen der sogenannten "Konfliktpathologie" weiterentwickelt. Im Gegensatz zur Strukturpathologie, bei der die Integration psychischer Funktionen eingeschränkt ist, stehen bei der Konfliktpathologie dynamische, verdrängte innerpsychische Spannungen im Vordergrund, die durch aktuelle Auslöser reaktiviert werden können.
Ziel der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist es, die unbewussten Grundkonflikte bewusst zu machen und in einer therapeutischen Beziehung zu bearbeiten. Dabei spielen Übertragung, Gegenübertragung und der Umgang mit Widerstand eine zentrale Rolle.
Klassifikation
In der modernen tiefenpsychologischen Praxis wird meist mit einem begrenzten Katalog klassifizierter Grundkonflikte gearbeitet. Diese basieren auf klinischen Beobachtungen und sind z.B. im OPD-Konfliktmodell (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik) systematisiert.
Typische Grundkonflikte sind:
- Abhängigkeits-Autonomie-Konflikt: Spannung zwischen dem Wunsch nach Nähe, Geborgenheit und Unterstützung und dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Abgrenzung.
- Unterwerfungs-Kontroll-Konflikt: Konflikt zwischen dem Wunsch, sich unterzuordnen, zu gefallen und angepasst zu sein, und dem Bedürfnis, Kontrolle, Dominanz oder Autonomie auszuüben.
- Versorgungs-Autarkie-Konflikt: Gegensatz zwischen dem Wunsch, versorgt und umsorgt zu werden, und dem Bedürfnis, unabhängig von Hilfe zu bestehen.
- Selbstwert-Objektwert-Konflikt: Fragile Selbstwertregulation, geprägt durch ein Wechselspiel von Selbstidealisierung und Selbstabwertung.
- Schuld-Unschuld-Konflikt: Ambivalenz zwischen destruktiven Impulsen und dem Bedürfnis, moralisch integer oder unschuldig zu erscheinen.
- Ödipaler Konflikt: Spannungsfeld zwischen sexuellen Wünschen, Rivalität und Schuldgefühlen in Bezug auf elterliche Bezugspersonen.
Diagnostik und Therapie
Die Diagnostik psychodynamischer Konflikte erfolgt unter anderem im Rahmen der OPD-Diagnostik, ergänzt durch Anamnese, Übertragungsanalyse und Beobachtungen im therapeutischen Prozess. Die Bearbeitung erfolgt in der Regel nicht direktiv, sondern über ein verstehendes, deutendes Vorgehen, das der Patientin oder dem Patienten neue Einsichten in bisher unbewusste Konfliktanteile ermöglicht.
Ein erfolgreich bearbeiteter Grundkonflikt äußert sich klinisch in einer Reduktion von Symptomen, einer besseren affektiven Regulation und einer stabileren Beziehungsgestaltung.
Abgrenzung
Der Begriff ist von aktuellen Belastungssituationen, realen äußeren Konflikten und der Strukturstörung abzugrenzen.
Literatur
- OPD-Task-Force (Hrsg.). (2023). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-3: Diagnostik und Therapieplanung in der Psychodynamik. Hogrefe.
- Wöller, W., & Kruse, J. (2021). Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. 6. Aufl. Schattauer.
- Rudolf, G. (2015). Psychodynamische Konzepte im Überblick. In: G. Rudolf & U. Streeck (Hrsg.), Psychodynamische Psychotherapie (S. 31–52). Springer.