Objektbeziehungstheorie
Synonyme: Objektpsychologie, Objektbeziehungspsychologie, Psychodynamische Beziehungstheorie
Englisch: object relations theory, object relations, object representations
Definition
Die Objektbeziehungstheorie ist ein psychodynamisches Konzept zur Erklärung der Persönlichkeitsentwicklung. Sie beschreibt, wie sich frühkindliche Beziehungserfahrungen mit "signifikanten Anderen" – sogenannten "Objekten" – in inneren Repräsentationen niederschlagen und die spätere Affektregulation, Beziehungsgestaltung und Ich-Struktur beeinflussen.
Hintergrund
Die Objektbeziehungstheorie entstand im frühen 20. Jahrhundert als Weiterentwicklung der klassischen Freudschen Triebtheorie. Während Sigmund Freud den intrapsychischen Konflikt zwischen Trieben und Abwehrmechanismen betonte, richteten sich Vertreter der Objektbeziehungstheorie stärker auf die Bedeutung früher Beziehungen und deren Einfluss auf die Psyche. Dazu zählen u.a. Melanie Klein, Donald Winnicott und Otto Kernberg.
Zentrale Konzepte
Objekt
In der psychoanalytischen Terminologie bezeichnet "Objekt" nicht ein Ding, sondern eine bedeutungsbesetzte Bezugsperson oder deren Repräsentation im psychischen Apparat.
Innere Objekte
Frühe Beziehungserfahrungen werden als "innere Objekte" internalisiert – sie enthalten sowohl affektive als auch kognitive Aspekte der Beziehung zu primären Bezugspersonen (z. B. Mutterbild, väterliches Über-Ich).
Spaltung und Introjektion (Klein)
Nach dem Ansatz von Melanie Klein ist die Spaltung ein zentraler Abwehrmechanismus, durch den das Selbst gute und schlechte Objektanteile trennt. Diese werden über Introjektion in das Selbst aufgenommen und beeinflussen das Affekterleben.
Übergangsobjekt und "True Self" (Winnicott)
Winnicott prägte die Konzepte des "Übergangsobjekts" (z.B. Kuscheltier, mit dem die Entwöhnung von der Mutter verarbeitet und aufgefangen wird) und des "falschen" bzw. "wahren" Selbst (Entwicklung eines falschen Selbst als Form der Anpassung, mit dem Ziel, das wahre Selbst zu schützen).
Strukturmodell (Kernberg)
Kernberg entwickelte ein strukturdiagnostisches Modell zur Einschätzung der Persönlichkeitsorganisation (neurotisch – borderline – psychotisch), das auf dem Zusammenspiel von Objektbeziehungen, Ich-Funktionen und Abwehrmechanismen basiert.
Klinische Relevanz
Die Objektbeziehungstheorie bildet die Grundlage zahlreicher psychodynamischer Psychotherapieansätze, insbesondere bei strukturellen Störungen und Persönlichkeitsstörungen. Ziel ist die Re-Integration gespaltener Objektrepräsentanzen, die Förderung reifer Abwehrmechanismen und der Aufbau stabiler, reziproker Beziehungsmuster.
Literatur
- Klein, M. (1946). Notes on some schizoid mechanisms. The International Journal of Psycho-Analysis, 27, 99–110. https://www.pep-web.org/document.php?id=ijp.027.0099a
- Kernberg, O. F. (1975). Borderline conditions and pathological narcissism. New York: Jason Aronson.
- Greenberg, J. R., & Mitchell, S. A. (1983). Object relations in psychoanalytic theory. Cambridge, MA: Harvard University Press. https://www.sas.upenn.edu/~cavitch/pdf-library/Greenberg_and_Mitchell_Drive_Structure_Model.pdf