Norovirus
Synonym: Norwalk-like-Virus
Englisch: norovirus, winter vomiting bug
Definition
Die Noroviren bilden eine Gattung positiv einzelsträngiger RNA-Viren innerhalb der Familie der Caliciviridae. Die humanpathogenen Arten rufen beim Menschen die Norovirus-Gastroenteritis hervor.
Geschichte
Das Norovirus wurde ursprünglich nach der Stadt Norwalk (Ohio) benannt, in der es 1968 in einer Grundschule zu einem Gastroenteritis-Ausbruch kam. 1972 wurde das Virus erstmalig elektronenmikroskopisch nachgewiesen. Der Prototyp ist das Norwalk-Virus und nach diesem wurden alle verwandten Spezies derselben Gattung "Norwalk-like virus" benannt. 2002 wurde die Gattung "Norwalk-like virus" umbenannt in Norovirus.
Einteilung
Äußere Systematik
Das Norovirus gehört zur Familie der Caliciviridae und ist eng verwandt mit einer weiteren Gattung dieser Familie, dem Sapovirus.
Innere Systematik
Noroviren können genetisch in 5 verschiedene Genogruppen (GI - GV) eingeteilt werden. Für den Menschen relevant sind die Gruppen GI, GII und GIV, die jeweils wieder in verschiedene Genotypen unterteilt werden können. Die Mehrheit der Norovirus-Infektionen bei Erwachsenen wird durch den Genotyp 4 der Genogruppe II ausgelöst (GII.4). Die Viren zeigen eine ausgeprägte Antigendrift und auch einen saisonalen Antigenshift, was zur Entstehung zahlreicher Varianten führt.
Morphologie
Noroviren sind einzelsträngige RNA-Viren mit einem Durchmesser zwischen 35 und 39 nm. Sie besitzen ein ikosaedrisches Kapsid und zeigen im Elektronenmikroskop eine unscharfe, rundliche Struktur. Das Genom der Noroviren ist etwa 7,3 bis 7,7 kB groß und weist eine sehr variable Genomsequenz auf. Die Viren besitzen eine hohe Resistenz (Tenazität) gegenüber chemischen und physikalischen Umwelteinflüssen und können in einem Temperaturbereich zwischen -20°C und +60 °C überleben.
Noroviren zeigen wie Influenzaviren eine Antigendrift und auch eine saisonale Antigenshift durch genetische Rekombination zwischen unterschiedlichen Virusstämmen. Zurzeit (2016) unterscheidet man mehrere humanpathogene Norovirus-Spezies innerhalb der Gattung Norovirus:
- Spezies Norwalk-Virus
- Spezies Humanes Norovirus Alphatron
- Spezies Humanes Norovirus Saitama
Die Spezies Norwalk-Virus lässt sich wiederum in 8 Subtypen unterteilen, wobei man vier dieser Subtypen wiederum zu sehr umfangreichen Genogruppen 1 bis 4 zusammenfassen kann:
- Subtyp Desert-Shield-Virus
- Subtyp Hawaii-Virus
- Subtyp Lordsdale-Virus
- Subtyp Mexiko-Virus
- Subtyp Norwalk-Virus
- Subtyp Snow-Mountain-Virus
- Subtyp Southampton-Virus
- Subtyp Wilkinson-Virus
Weitere klassifizierte Spezies des Norovirus sind:
- Spezies Bovines Norovirus-CH126
- Spezies Bovines Norovirus-Jena
- Spezies Murines Norovirus
- Spezies Norovirus des Schweines (Porcines Norovirus)
- Spezies Norovirus der Auster
Epidemiologie
Noroviren sind weltweit verbreitet. Das Erregerreservoir für die humanpathogenen Virusvarianten bildet der Mensch. Der saisonale Gipfel liegt typischerweise in den Monaten Oktober bis März. Infektionen können jedoch in Mitteleuropa durch Import der Viren aus anderen Regionen der Welt das ganze Jahr über auftreten. Am häufigsten sieht man sie in Form von Endemien in öffentlichen Einrichtungen (Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegeheime). Dort sind sie aufgrund der hohen Infektiosität und Unempfindlichkeit des Erregers oft nur schwer zu kontrollieren.
Pathophysiologie
Nach der Infektion vermehren sich Noroviren vor allem im Dünndarm. Nach ca. 1-2 Tagen treten die ersten Symptome in Form einer akuten Gastroenteritis auf, die etwa 1-3 Tage anhält. Leitsymptome sind Nausea, Erbrechen, wässrige Diarrhö und Bauchschmerzen. In manchen Fällen tritt ein Geschmacksverlust auf. Weitere Krankheitszeichen können allgemeines Schwächegefühl, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Husten und subfebrile Temperaturen sein. Normalerweise heilt die Erkrankung nach diesem Zeitraum folgenlos aus.
Der generelle Krankheitsverlauf ist in der Regel eher mild. Nur in Ausnahmefällen ist eine stationäre Behandlung notwendig. Bei sehr jungen und sehr alten Patienten, sowie bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem kann es zu schwereren Verläufen kommen, die in Einzelfällen zum Tod führen, vor allem wenn die mit der Erkrankung einhergehende Dehydratation nicht adäquat behandelt wird.
Labordiagnostik
Rountinemäßig wird bei Verdacht auf eine Norovirusinfektion keine Labordiagnostik durchgeführt. In Industrieländern kann durch die flächendeckende Einführung der Rotavirus-Impfung - bei entsprechender Symptomatik - auch ohne Labornachweis von einer Norovirusinfektion ausgegangen werden. Bei bestimmten Patientengruppen, wie immundefizienten Personen, oder zum Nachweis in öffentlichen Einrichtungen, ist eine diagnostische Untersuchung jedoch empfohlen.
Der Erregernachweis erfolgt meist mittels RT-PCR oder Enzymimmunoassay (ELISA). Da die Ausscheidungsdauer des Erregers im Stuhl sehr kurz ist, sollte eine Untersuchung während der ersten drei Tage bzw. in der akuten Erkrankungsphase erfolgen. Als Standard wird aufgrund der geringen Kosten in der Regel ein ELISA durchgeführt. Er ist bezüglich Sensitivität und Spezifität jedoch der RT-PCR unterlegen. Der direkte Virusnachweis durch eine Elektronenmikroskopie ist sehr aufwendig und kommt daher selten zur Anwendung.
Material
Für den Erregernachweis wird eine Stuhlprobe benötigt.
Referenzbereich
Das Ergebnis sollte negativ ausfallen.
Interpretation
Die Interpretation des Testergebnisses kann sich bei Patienten mit akuten Durchfällen als schwierig erweisen, da die RT-PCR bereits eine geringe Viruslast detektiert (< 100 Partikel pro Gramm). Selbst bei einem Nachweis müssen die Noroviren jedoch nicht die primäre Ursache der Symptomatik darstellen. Aus diesem Grund sollten die labormedizinischen Ergebnisse immer in Zusammenschau mit den epidemiologischen und klinischen Faktoren interpretiert werden.
Impfung
Zurzeit (2021) ist in Deutschland noch kein Impfstoff gegen Noroviren verfügbar. Die Impfung mit rekombinanten Viruspartikeln (VLP) befindet sich in klinischer Erprobung. Durch orale oder intranasale Gabe dieser VLP konnte eine spezifische Immunantwort induziert werden. Sie verhindert jedoch nicht die Infektion, sondern mildert den Krankheitsverlauf. Es ist allerdings noch unklar, ob dieser Ansatz einen verlässlichen Schutz gegen neu auftretende Virusvarianten bildet. Hier besteht die gleiche Problematik wie bei der Impfung gegen Grippeviren.
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