Rapunzel-Syndrom
nach dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm
Synonym: Rapunzelsyndrom
Englisch: Rapunzel syndrome
1. Definition
Das Rapunzel-Syndrom beschreibt einen Trichobezoar des oberen Gastrointestinaltraktes mit distaler Ausdehnung ("wie ein Zopf") in das Duodenum und das proximale Jejunum. Es handelt sich um eine seltene, aber potenziell schwerwiegende Erkrankung, die einer spezifischen Diagnostik und Therapie bedarf.
2. Epidemiologie
Das Rapunzel-Syndrom ist sehr selten, weltweit sind bislang (2025) nur etwa 120 Fälle dokumentiert. Es kommt gehäuft bei jüngeren Mädchen vor, wobei eine Assoziation mit psychodynamischen Störungen (z.B. Bindungsstörungen, Angststörungen) besteht.[1] Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche mit einer Vorgeschichte von emotionalem Missbrauch oder Vernachlässigung.
3. Ätiopathogenese
Das Rapunzel-Syndrom wird durch eine Trichophagie – oft in Kombination mit Trichotillomanie – ausgelöst. Außer eigenen Haaren werden auch Fasern von Puppen, Teppichen und Wolldecken oder Tierhaare verschluckt. Da diese Materialien unverdaulich sind, formen sie im Magen einen Bezoar, der bei weiterer Trichophagie an Größe zunimmt, bis der Magen komplett damit ausgekleidet ist ("Ausgusspräparat"). Die harte Konsistenz entsteht durch die Verdichtung der Haare, die von Magensaft und Schleim umgeben sind. Weitere Haare lagern sich dann in Richtung Dünndarm an und bilden den namensgebenden "Zopf" der Rapunzel.[2][3]
4. Symptomatik
Es treten Übelkeit, Völlegefühl, Erbrechen und Oberbauchschmerzen auf. Die subtotale Ausfüllung des Magens führt zur Gewichtsabnahme durch Störung der Magen-Darm-Passage. Häufig zeigen sich psychiatrische Komorbiditäten. Bei Trichotillomanie findet man ggf. eine Alopezia areata.
Weitere Symptome können Anämie, Müdigkeit und eine körperliche Entwicklungsverzögerung sein, insbesondere bei Kindern.
5. Diagnostik
Neben der charakteristischen Anamnese mit Begleiterkrankungen sind Sonographie, Kontrastmitteldarstellung des Magens oder eine Gastroskopie zur Diagnosesicherung wegweisend. Palpatorisch lässt sich ein harter, verschieblicher Tumor im Oberbauch tasten.
6. Therapie
Die Therapie besteht aus chirurgischer Entfernung des Trichobezoars mittels Gastrotomie. Kleinere Bezoare können u.U. auch endoskopisch entfernt werden.[3] Die psychiatrische Grunderkrankung sollte psychotherapeutisch behandelt werden (v.a. kognitive Verhaltenstherapie). Dies dient auch der Vermeidung von Rezidiven.
7. Quellen
- ↑ Ventura et al., Rapunzel syndrome with a fatal outcome in a neglected child, J Pediatr Surg, 2005
- ↑ Gockel et al., Das Rapunzel-Syndrom, Der Chirurg, 2003
- ↑ 3,0 3,1 Kwon und Park, Treatment of large gastric trichobezoar in children: Two case reports and literature review, Medicine (Baltimore), 2023