Orthokeratologie
Synonym : Ortho-K
Englisch: orthokeratology, corneal reshaping
Definition
Die Orthokeratologie ist ein in der Ophthalmologie verwendetes, nicht operatives Verfahren zur temporären Korrektur einer Myopie und/oder eines Astigmatismus durch spezielle formstabile Kontaktlinsen, die meist über Nacht getragen werden. Durch die Kontaktlinsen wird eine Verformung der Hornhaut erreicht.
Entwicklung
- 1200 - China: Menschen versuchten mittels Auflegen von Sandsäcken auf geschlossene Augen das Refraktionsdefizit durch Druck auf die Hornhaut zu mindern.
- 1960 - USA: Der Ophthalmologe George Jessen publiziert eine Technik die er "Orthofocus" nennt. Er versucht die Myopie durch formstabile Kontaktlinsen zu reduzieren.
- ca. 1965 - Die Optometristen C. May, S. Grant und R. Tabb bringen die erste konventionelle Ausführung der Ortho-K Linse aus Polymethylmethacrylat (PMMA) heraus. Die äußeren Radien sind flacher als die zentrale Basiskurve. Die Fertigung der Linse sowie die Bestimmung der Hornhautgeometrie können jedoch damals nicht ausreichend exakt durchgeführt werden.
- ca. 1990 - Der amerikanische Arzt R. Wlodyga beschließt grundlegende Änderungen des Aufbaus. Ein kalifornischer Kontaktlinsen-Produzent fertigt darauf 1991 die erste Linse mit einer reversen Rückflächengeometrie, die daraufhin patentiert wird. Hier entsteht das erste dreikurvige Design, das die Kontrolle und eine stärkere Abflachung der Hornhaut ermöglicht.
Prinzip
Die menschliche Hornhaut trägt etwa 60% zum Scharfsehen bei. Durch eine Modifikation der Hornhautradien kann der Visus daher stark beeinflusst werden. Bei der Orthokeratologie wird diese Modifikation durch verschiedene Veränderungen des Hornhautepithels erreicht. Untersuchungen zum Gewebewachstum deuten darauf hin, dass die Epithelzellen ihr Wachstum in Reaktion auf das Vorhandensein des Fremdmaterials anpassen.
Es wird angenommen, dass die Ortho-K-Linse das Zellwachstum an Stellen anregt, an denen geringerer Kontakt besteht und das Wachstum dort unterdrückt, wo der Kontakt enger ist. Dadurch nimmt lokal die Epitheldichte ab, und es verändern sich Größe und Form der Korneazellen. Darüber hinaus soll es zu einer Umverteilung von Epithelzellen kommen.
Aufbau der Linse
Die Ortho-K Linse besteht aus gasdurchlässigem Material. Heute (2018) werden Linsen mit vierkurvigen Designs verwendet: Zentral hat die Linse einen Krümmungsradius r0 von 6-7 mm. Die "Reverse"-Zone hat eine steiler gestaltete Krümmung als zentral - hier sammelt sich Tränenflüssigkeit. Die Landing- oder Alignment-Zone ist flacher gekrümmt als die Reverse-Zone, aber steiler als die Basiskurve.
Linsenanpassung
Grundlage einer erfolgreichen Ortho-K-Anpassung sind alle Instrumente und Geräte, die auch zur Anpassung formstabiler Kontaktlinsen eingesetzt werden. Hierbei sollte auf Geräte mit hohem technischen Stand geachtet werden, um den höheren Ansprüchen einer Ortho-K-Anpassung zu entsprechen. Minimal sind Spaltlampe, Messbrille/Phoropter und Keratograph notwendig. Weiter kann ein Kontrastsehtest wichtig sein. Nach der Anpassung müssen die Patienten die Linse eigenständig einsetzen und herausnehmen können.
Die Hornhaut passt sich innerhalb von Stunden bis Tagen an, wobei die vollständige Anpassung oft 2 - 3 Wochen dauert. Die korrigierende Wirkung ist stabil, aber nicht dauerhaft. Das Auge verliert langsam seine angepasste Form und braucht etwa 3 Tage, um zu seiner früheren Sehkraft zurückzukehren. Dies erfordert das regelmäßige Tragen der Linsen, damit die korrigierte Hornhautform erhalten bleibt. Gewöhnlich werden sie nur für einen Teil des Tages getragen (etwa nachts).
Indikation
Angewendet wird die Orthokeratologie zur Korrektur einer Myopie und/oder eines Astigmatismus, die durch die Verformung der Cornea behoben werden können. Folgende Parameter müssen beim Patienten erfüllt sein:
- Fernpunkt: -0,75 bis -4,00 dpt
- Zylinder als Astigmatismus rectus max. -1,50 dpt, als Astigmatismus inversus bis -0,75 dpt
Linsenpflege
Das Tragen der Linsen bei geschlossenen Augen geht mit besonderen hygienischen Pflegeanforderungen einher:
- Reinigung: Tränenfilmrückstände und Proteine müssen gut entfernt werden, damit sich Mikroorganismen nicht vermehren können und eine optimale Wirkungsweise der Linsen gewährleistet bleibt. Einige Linsenhersteller empfehlen nur einen Tensid-Reiniger ohne abrasive Substanzen, um eine Veränderung der Linsengeometrie zu verhindern. Andere nutzen abrasive Mittel zur besseren Reinigung, die beste Reinigungslösung entscheidet sich im Einzelfall.
- Desinfektion: Über den Tag sollten die Linsen von verbliebenen möglicherweise pathogenen Mikroorganismen befreit werden, das wirksamste Mittel ist Wasserstoffperoxid (meist 3%-Lösung).
- Behälter: Flache Behälter sind geeignet für die OK-Linsen mit ihren großen Durchmessern. Von Behältern, welche die Linsen mittels Klemmen halten, wird wegen Verformungsgefahr abgeraten.
Folgen
Es können verschiedene nicht-pathologische Veränderungen können während der Therapie auftreten.
Hornhautradien
Die Vorderflächenradien nehmen über 2 Jahre um 0,3 bis 0,4 mm ab. Die Hälfte der Veränderung zeigt sich schon mit Ablauf einer Woche. Die Änderung ist oft schon nach einem Jahr stabil.
Die Radiendifferenzen zwischen horizontalem und vertikalen Meridian nimmt um 0,1 mm zu. Das führt zu einer Steigerung des Hornhautastigmatismus von rund 0,6 dpt. Das begründet sich mit einem höheren Druck auf den flacheren Meridian.
Hornhautdicke
Durch kontinuierlichen Druck auf die Hornhaut folgt eine Abnahme der Hornhautdicke. Zentral nimmt die Dicke nach 2 Monaten um 10 bis 15 µm ab. Eine genaue Erklärung dafür gibt es nicht. Am bekanntesten ist die These von Swarbrick, dass Epithelzellen im Zentrum zur Seite geschoben werden.
Brechwert
Früher waren Brechwertänderungen sehr zeitaufwendig. Mit dem heutigen Standard nimmt bei 2/3 der Linsenträger die Myopie bereits nach einer Nacht um 2 dpt oder mehr ab. Diese Gruppe wird auch als "Fast Responder" bezeichnet.
Kontrastempfindlichkeit und Visus
Ein Visus von 1,0 wird von der Mehrzahl der Probanden erreicht, Einzelfälle erreichen auch bis zu 1,6. Die Sehschärfe bleibt über den Tag beständig, alle Probanden mit einer erfolgreichen Anpassung sind damit auch für den Straßenverkehr fahrtüchtig. Stellenweise kann es zu einem starken Abfall des Visus kommen, die Ursache ist ein dezentrierter Sitz der Linse in der Nacht.
Eine große Rolle für den Alltag spielt die Kontrastempfindlichkeit, besonders z.B. in der Dämmerung. Die Kontrastempfindlichkeit nimmt durch Hornhautödeme bei erstmaligem Tragen ab. Mehrkurvige Designs der Linsen führen zu einer multifokalen Fläche der Hornhaut. Werden hierdurch mehrere Netzhautbilder überlagert, führt das zu Halos, die das Kontrastempfinden mindern. Probanden beschreiben das Sehen als "milchig". Die Stabilisierung der Hornhaut korreliert mit der Besserung des Kontrastempfindens. Das Kontrastempfinden erholt sich langsam wieder und erreicht nach einem Jahr den ursprünglichen Zustand. Die meisten Ortho-K-Träger gewöhnen sich an die Verschlechterung der Kontrastempfindlichkeit.
Stippungen
Am Anfang der Therapie ist mit vermehrten Stippungen zu rechnen. Die Hälfte der OK-Anfänger haben zu Beginn Stippungen die innerhalb weniger Stunden verschwinden. Intensivere Stippungen oder Erosionen sollten zum Abbruch veranlassen. Besonders zentral treten Stippungen bei höheren Myopien auf, durch das zentral sehr starke Aufliegen der Linse. Bei etwa 1/6 der Patienten sind zwei Jahren nach dem Absetzen der OK-Linse noch vereinzelt Stippen zu erkennen.
Keratozyten
Das Verformen der Hornhaut lässt vermuten, dass einige Zellen zwischen den Kollagenfasern des oberen Stromas abgequetscht werden und absterben. Untersuchungen mittels konfokalem Mikroskop konnten keine Auffälligkeiten nachweisen. An 31 Augen wurde die Dichte der Zellen vor und nach der Erstanpassung bestimmt. Diese Differenzen waren nicht wesentlich, können aber mit großen Unsicherheiten behaftet sein.
Eisenablagerungen in der Hornhaut
Es lassen sich Eisenablagerungen im Hornhautepithel feststellen. Begünstigt werden Sie durch geringen Tränenaustausch. Sie treten regelmäßig unter der "Reverse"-Zone auf.
Intraokulardruck
Durch die Verformung der Hornhaut kann eine Minderung des Volumens der vorderen Augenkammer auftreten, was ein Risiko für Glaukompatienten darstelllt. Zahlreiche Messungen haben jedoch gezeigt, dass der Augeninnendruck sich etwas mindert. Diese Veränderungen sind nicht signifikant und dürften auf Abnahme der Hornhautdicke zurückzuführen sein.
Therapieabbruch
Etwa 25% der Patienten brechen die Ortho-K nach wenigen Wochen oder Monaten wieder ab. Dies kann subjektiv begründet oder durch Komplikationen bedingt sein. Mögliche Gründe sind:
- Verschlechterung der Sehqualität: Das Sehen am Tag ist schlechter als mit Brille oder konventionellen Kontaktlinsen. Wenn eine Person selbst mit Ortho-K-Linsen eine gute Sehleistung erreicht, kann es sein, dass die gewohnt höhere Sehleistung für einen Abbruch des OK-Tragens sorgt.
- Sehschärfe und Nahsehen: Ein Viertel aller Abbrüche sind auf zu geringe Sehschärfen zurückzuführen. Visus 1,0 kann durchaus als unzureichend empfunden werden, wenn mit anderen Korrekturmethoden ein höherer Visus erreicht wurde. Ebenso fehltPresbyopen die Myopie zum Sehen in der Nähe.
- Astigmatismus: Die Veränderungen sind meist unwesentlich, trotzdem weisen rund ein Viertel, durch ungleiche Druckverteilung, einen um 0,50 dpt gestiegenen Astigmatismus auf. In Einzelfällen kann er bis zu 1,00 dpt betragen.
- Fremdkörpergefühl: Ein starkes Fremdkörpergefühl beim Tragen ist für jeden 4. Probanden ein Grund für den Ausstieg. Das Fremdkörpergefühl ist meist unumgänglich, denn die Methode beruht auf einr Krafteinwirkung auf die Hornhaut.
- Halos: Halos sind Lichthöfe um Lichtquellen. Sie treten nachts auf und können nicht ausgeschlossen werden. Einige OK-Träger gaben an, Rücklichter als Lichtbänder wahrzunehmen. In dem Fall sollte auf OK-Linsen verzichtet werden. Große Pupillenweiten begünstigen die Wahrnehmung von Halos.
Straßenverkehr
Um festzustellen, ob der Patient ohne Sehhilfe am Straßenverkehr teilnehmen darf, ist zu prüfen, ob die Sehschärfe den Kriterien der zentralen Tagessehschärfe entspricht. Sie entsprechen in Deutschland R: 0,7/L: 0,7. Juristisch ist die Lage bisher nicht eindeutig klar. Probleme entstehen durch den Eintrag im Führerschein, der auf die Notwendigkeit einer Sehhilfe hinweist. Der Anpasser sollte eine entsprechende Bescheinigung ausstellen. In Einzelfällen haben Probanden den Eintrag aus dem Führerschein entfernen lassen.
Kontraindikation
In einigen Fällen ist die Orthokeratologie kontraindiziert, da es zu Komplikationen kommen kann. Dazu zählen:
- flache Hornhautradien
- zu hohe Exzentrizitäten
- zu große Pupillen
- Irregularitäten der Hornhaut
- Sicca-Syndrom
- innerer Astigmatismus der Augenlinse
- Infektionen des Auges
- korneale Hyposensitivität
- chronische Erkrankungen der Hornhaut
- unregelmäßige Schlafrhythmen
Weiterführende Literatur
- Berke (et. al.) - inform Augenoptik 19 - Ortho-K - 2005; 51 Seiten
- Goersch - Wörterbuch der Optometrie - 2001; 412 Seiten
- Kloevekorn-Fischer - Kontaktlinsenanpassung - 2007; 168 Seiten
Quellen
- Berke et. al. 2004 - Erfahrungen mit 24 Monaten Orthokeratologie - Die Kontaktlinse 12/2004
- Bruckmann et. al. 2003 - "Veränderungen der Hornhaut nach Orthokeratologie" - Optometrie 03/2003
- Bruckmann et. al. 2004 - "Eisenablagerungen in der Hornhaut nach Orthokeratologie" - Die Kontaktlinse 09/2004
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