Medizinische Chemie
Synonym: pharmazeutische Chemie
Englisch: medicinal chemistry, pharmaceutical chemistry
Definition
Die medizinische Chemie, auch pharmazeutische Chemie genannt, ist ein Teilbereich der Chemie, der sich mit den chemischen Eigenschaften von Arzneistoffen befasst. Sie umfasst unter anderem die Entwicklung, molekulare Pharmakologie, Synthese und Analytik von Arzneistoffen.
Geschichte
Die medizinische Chemie entstand ausgehend von der organischen Synthesechemie. Einer der ersten chemisch synthetisierten Arzneistoffe war die Acetylsalicylsäure. Um die magenschädigenden Nebenwirkungen der aus Pflanzen gewonnenen Salicylsäure abzumildern, wurde die Salicylsäure chemisch modifiziert. Die so im Jahr 1897 gefundene Acetylsalicylsäure (Aspirin) wies ein geringeres Nebenwirkungsspektrum auf.
Zu diesen Zeiten war die medizinische Chemie durch ein Vorgehen des "trial and error" geprägt, bei welchem eine Vielzahl von Verbindungen synthetisiert und anschließend auf ihre medizinische Wirkung getestet wurde. Ein weiteres Beispiel für ein solches Vorgehen war die Entdeckung des Salvarsan durch Paul Ehrlich, der es durch Abwandlung von Azofarbstoffen gewann. Erst durch Einführung der modernen Computerchemie wurde ein gezieltes Wirkstoffdesign möglich, wie es zum Beispiel bei den HIV-Protease-Hemmern wie Saquinavir gegen Ende des 20. Jahrhunderts angewandt wurde.
Wirkstoffentwicklung
Die Wirkstoffentwicklung ist ein elementarer Bestandteil der medizinischen Chemie. In der Regel wird zuerst ein Target identifiziert, also eine Zielstruktur im Körper, die durch den Arzneistoff adressiert werden soll. Dies können zum Beispiel Enzyme oder Rezeptoren sein. In einem zweiten Schritt erfolgt die Strukturaufklärung des Targets und dessen Modellierung mithilfe eines Computers. Virtuell ("in silico") können verschiedene chemische Verbindungen in das Target eingebettet werden und die Wechselwirkungen berechnet werden. Verbindungen, die gut in das Target passen, werden im Labor getestet ("in vitro") und weiter modifiziert, um die Affinität an das Target zu erhöhen. Auf diese Weise werden Verbindungen erschaffen, die eine maximale medizinische Wirkung aufweisen. Aber auch biopharmazeutische Aspekte wie die Löslichkeit und Membrangängigkeit müssen beachtet werden. Deshalb stellen Arzneistoffe häufig einen Kompromiss aus maximaler Bindungsaffinität und Bioverfügbarkeit dar. Eine Daumenregel hierfür stellt Lipinski's rule of five dar.
Bei der Wirkstoffentwicklung spielt auch der molekulare Wirkmechanismus eine Rolle. Die molekulare Pharmakologie befasst sich hierbei mit den molekularen Vorgängen in den Körperzellen, die durch Arzneistoffe beeinflusst werden. Die medizinische Chemie liefert durch die Synthese gezielter Inhibitoren oder die Weiterentwicklung von Analysemethoden Werkzeuge, um diese Vorgänge aufzuklären.
Synthese
Die Synthesechemie spielt sowohl in der Arzneistoffentwicklung als auch in der -produktion eine Rolle. Ein Wirkstoff kann nur entwickelt werden, wenn er synthetisiert werden kann. Im Labor werden für die Arzneistoffoptimierung in der Regel bereits bekannte Verbindungen gering modifiziert.
Bei der industriellen Produktion spielen auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Die Entwicklung einer Synthese, die im großen Maßstab chemisch funktioniert und wirtschaftlich rentabel ist, ist essentiell für die Verbreitung eines Arzneistoffs. Hierbei überschneidet sich die medizinische Chemie mit der technischen Chemie. Die Synthese von reinen Enantiomeren gewinnt hierbei immer mehr Bedeutung.
Analytik
Die Analytik eines Arzneistoffes fußt laut Arzneibuch auf drei Säulen: Identität, Reinheit und Gehalt. Bei der Identitätsprüfung wird geprüft, ob der deklarierte Arzneistoff enthalten ist. Bei der Reinheitsprüfung wird auf eventuell gesundheitsschädliche Verunreinigungen geprüft. Bei der Gehaltsprüfung wird bestimmt, wie viel Arzneistoff in der Probe enthalten ist. Die Analytik dient somit der Kontrolle von fertigen Arzneimitteln. Aber auch in anderen Bereichen spielt die Analytik eine große Rolle, zum Beispiel zur Strukturaufklärung in der Wirkstoffentwicklung oder der Detektion von unerwünschten Nebenprodukten bei der Synthese. Ein Beispiel für die Bedeutung der Analytik ist der Valsartan-Skandal, bei welchem im Jahr 2018 karzinogenes N-Nitrosodimethylamin in einigen Valsartan-haltigen Arzneimitteln gefunden wurde.
Es wird zwischen nasschemischen und instrumentellen Methoden unterschieden. In der Nasschemie werden klassische Labormethoden wie Farbreaktionen oder Titrationen verwendet, während die instrumentelle Analytik auf modernen Verfahren wie Photometrie, IR-Spektroskopie, Chromatographie und NMR basiert.