Indirekte Traumatisierung
Synonym: sekundäre Traumatisierung
Englisch: secondary traumatic stress, STS
Definition
Indirekte Traumatisierung bezeichnet eine psychische Belastungsstörung, die nach wiederholter Exposition mit Traumata anderer Menschen auftritt. Dabei kommt es ohne eigenes direktes Traumaerleben zu einer symptomatischen Belastungsreaktion.
Epidemiologie
Systematische Reviews zeigen eine hohe Prävalenz indirekter Traumatisierung bei allen untersuchten Gesundheitsberufen von bis zu 80 %.[1][2] Dabei sind z.B. Psychologen in Krieg- und Katastrophengebieten oder Spezialisten für sexuellen Missbrauch und häusliche Gewalt besonders anfällig.
Indirekte Traumatisierung ist ebenfalls bei Moderatoren von Onlineinhalten und durch Nutzung sozialer Medien beschrieben.[3]
Prozessmodell
Neuropsychologische Modelle beschreiben den Entwicklungsprozess der sekundären Traumatisierung als Folge einer überschrittenen Belastungsgrenze durch wiederholte indirekte Traumakonfrontation:[4]
- Phase der empathischen Beziehung: Die intensive Empathie mit dem Leid anderer aktiviert eine erhöhte Sensibilität für belastende Inhalte ("Kindling")
- Belastungs- und Überschreitungsphase: Wiederholte Konfrontation mit Berichten des Traumas einer anderen Person führt zu einer Belastungsreaktion beim behandelnden Fachpersonal oder anderen nicht direkt traumatisierten Personen
- Akute Symptomausprägung: Manifestierung von akuten Symptomen wie Intrusionen, Übererregung, Vermeidungsverhalten
- Chronifizierung: Symptomatik bildet sich bei manchen Betroffenen zurück, kann jedoch auch chronifizieren
Risikofaktoren
Zu den wesentlichen Risikofaktoren im beruflichen Kontext zählen:[5][1]
- emotional belastendes Arbeitsumfeld
- häufige Konfrontation mit Tod und Trauma
- fehlende soziale und organisatorische Unterstützung
Als protektive Faktoren gelten Selbstfürsorge, Sport, soziale Unterstützung, Supervision und eine positive berufliche Identität.
Klinik
Die Symptome der indirekten Traumatisierung entsprechen weitgehend denen der klassischen PTBS und umfassen:[1][6]
- Intrusionen
- Übererregung
- Vermeidungsverhalten
- depressive Symptomatik
- emotionale Erschöpfung
Therapie
Zur Therapie der indirekten Traumatisierung wird kognitive Verhaltenstherapie empfohlen. Ein Fokus liegt hierbei auf:
- Traumabewältigung
- Selbstregulation (Entspannungsübungen und Imaginationstechniken)
- Psychohygiene
- Resilienz
In schweren Fällen kann auch eine ambulante oder stationäre psychiatrische Behandlung notwendig sein.
Prävention
Präventive Maßnahmen umfassen eine Implementierung von organisatorischen Maßnahmen. Hier zählen Supervision, Debriefings, Förderung der Selbstfürsorge, sowie Schulungen zur Erkennung und Bewältigung sekundärer Traumatisierung für betroffene Berufsgruppen.[1]
Weblink
- Vicarious trauma: signs and strategies for coping (British Medical Association)
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Zacharias und Upendra, Healing the healers: A systematic review on the burden of secondary traumatic stress among healthcare providers, J Educ Health Promot, 2024
- ↑ Xu et al., Prevalence and associated factors of secondary traumatic stress among emergency nurses: A systematic review and meta-analysis, Int J Nurs Stud, 2024
- ↑ Ben-Zur et al.,The relationship between exposure to terror through the media, coping strategies and resources, and distress and secondary traumatization, International Journal of Stress Management, 2012
- ↑ Daniels, Neuropsychologische Theorie der Sekundären Traumatisierung, ZPPM, 2007
- ↑ Jan et al., Risk Factors of Secondary Traumatic Stress: A Scoping Review, J Adv Nurs, 2024
- ↑ Park et al., A Scoping Review of Secondary Traumatic Stress in Nurses Working in the Emergency Department or Trauma Care Settings, J Adv Nurs, 2025