Scheuermann-Krankheit
nach dem dänischen Arzt Holger W. Scheuermann (1877-1960)
Synonyme: Morbus Scheuermann, Adoleszentenkyphose, Adoleszenzkyphose, Kyphosis dorsalis juvenilis, Osteochondrosis deformans juvenilis vertebralis dorsalis sive lumbalis, "Lehrlingsrücken"
Englisch: Scheuermann's disease, Scheuermann kyphosis
Definition
Die Scheuermann-Krankheit ist eine Wachstumsstörung der Wirbelsäule, die durch intraspongiöse Bandscheibenvorfälle (Schmorl-Knötchen), eine wellige Form der Wirbelkörperdeckplatten und Höhenminderung der Bandscheibenfächer gekennzeichnet ist. Am häufigsten ist die mittlere und untere Brustwirbelsäule, seltener die obere Lendenwirbelsäule betroffen.
- ICD-10 Code: M42.0
Einteilung
... nach Lokalisation
- thorakal (Typ 1) (75 %): Bei dieser Form kommt es zusätzlich zu einer vorderen Keilform (> 5°) von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Wirbelkörpern
- thorakolumbal (25 %)
- lumbal (Typ 2) (< 5 %)
... nach Schweregrad
- leichte Kyphose: Kyphosewinkel zwischen 20 und 40 Grad
- schwere Kyphose: Kyphosewinkel > 70 Grad
... nach Verlauf
- Anfangsstadium: meist asymptomatisch
- Florides Stadium: Rundrückenbildung, häufig mit Rückenschmerzen
- Endstadium: Keilwirbelbildung, die sich auf Gelenke, Bänder, Sehnen und Muskulatur auswirkt
Epidemiologie
Die Scheuermann-Erkrankung ist die häufigste Wirbelsäulenerkrankung im Jugendalter. Die Prävalenz wird auf 0,4 bis 8 % geschätzt. Das typische Alter für das Auftreten des Morbus Scheuermann ist zwischen 9 und 18 Jahren. Jungen sind zweimal häufiger betroffen als Mädchen.[1][2]
Ätiologie
Die genaue Ätiologie ist bisher (2023) unbekannt. Vermutet wird eine erbliche Komponente, die zu einer Schwäche der knorpeligen Wirbelkörperdeckplatten führt. Begünstigt wird der Ausbruch der Erkrankung durch eine chronische Belastung vor der Skelettreife (z.B. durch Gymnastik).
Pathogenese
Bei der Scheuermann-Krankheit wachsen die Wirbel zwischen dem 5. und 11. Brustwirbel in ihren anterioren Anteilen langsamer als in den posterioren, wodurch typisch geformte Keilwirbel entstehen. Seltener ist auch der obere lumbale Abschnitt (L1 bis L3) betroffen.
Die Deckplatten der Wirbelkörper weisen zudem Inkonsistenzen auf, durch die Anteile der Bandscheiben in den Wirbelkörper eintreten können. Die beim ungleichmäßigen Wachstum entstehenden Verformungen der Wirbel sind asymmetrisch. Daher kommt es zur Ausbildung einer übermäßigen Kyphose.
Mit dem Abschluss des Wachstums (ca. 18. Lebensjahr) sistiert das pathologische Wachstum im Rahmen des Morbus Scheuermann. Es kommt zu keiner weiteren Progression.
Durch die Brustkyphose wird die Lendenlordose verstärkt, sodass Spondylolysen begünstigt werden.
Klinik
Häufig verläuft der Morbus Scheuermann zur Zeit des Fehlwachstums asymptomatisch. Nur ein kleiner Teil der Patienten leidet unter Rückenschmerzen und Druckschmerzempfindlichkeit, die typischerweise durch Belastung verstärkt werden. Beschwerden entstehen bei den meisten Patienten im Erwachsenenalter, wenn durch die Fehlstellung der Wirbelsäule bedingt Verspannungen und Überdehnungen der Rückenmuskulatur auftreten.
Die betroffenen Patienten leiden weiterhin häufig unter Bewegungseinschränkungen und degenerativen Veränderungen der Bandscheiben. Vor allem die im Rahmen der verstärkten Brustkyphose entstehende, übermäßige Lendenlordose führt zu einem gesteigerten Risiko für Lumbalsyndrome. Es kann eine fixierte, langgebogene Hyperkyphose – ein sogenannter Rundrücken – entstehen.
Diagnostik
Die Erkrankung kann durch die klinische Untersuchung und v.a. durch das Röntgenbild in der seitlichen Aufnahme diagnostiziert werden. Im Anfangsstadium erhält man röntgenologisch meist einen Normalbefund oder eine geringe Verformung von einzelnen Wirbelkörpern, im weiteren Verlauf sind Kyphose, Schmorl-Knötchen und unregelmäßige Wirbeldeckplatten bis hin zu keilförmigen Verformungen der Wirbelkörper im Endstadium zu beobachten. Ferner sieht man eine Verkürzung des Abstands zwischen den betroffenen Wirbeln. Zusätzlich kann an den Deckplatten das Edgren-Vaino-Zeichen auftreten, ein den Schmorl-Knötchen gegenüberliegendes Knochenwachstum.
Als Scheuermann-Trias bezeichnet man die Kombination aus:
- Keilwirbel
- Schmorl-Knorpelknötchen (in die Wirbelkörper eingetretene Anteile der Bandscheiben)
- übermäßige Kyphose der Brustwirbelsäule
Der klinische Zustand des Patienten muss nicht unbedingt mit dem Röntgenbefund korrelieren.
Differenzialdiagnosen
- Multiple Insuffizienzfrakturen: generalisierte Osteopenie
- Traumatische Kompressionsfrakturen: ausgeprägtes Wirbelkörperödem, Traumaanamnese
Therapie
Während des Fehlwachstums können druckentlastende Übungen im Rahmen einer Physiotherapie ein weiteres Fortschreiten verhindern. Stärkere Kyphosen werden kurzzeitig mit einem entlastenden Korsett therapiert. Operative Verfahren kommen nur bei selten auftretenden schwersten Deformierungen durch eine Kyphose infrage.
Bei den meisten Patienten bleibt ein Morbus Scheuermann unerkannt, sodass die oben genannten Therapieoptionen ausfallen. Diesen Patienten ist zur dauerhaften Linderung ihrer Beschwerden und Vermeidung sekundärer Fehlbildungen ein gutes Training der Rückenmuskulatur anzuraten.
Das Training kann z.B. aus gezielten Kräftigungsübungen, Gymnastik und vor allem Schwimmen bestehen. Unter diesen Voraussetzungen treten kaum Rückenschmerzen auf. Bei sachgemäßer Lebensweise bedingt ein Morbus Scheuermann für den Betroffenen keinen Verlust an Lebensqualität und Leistungsfähigkeit.
Quellen
- ↑ Mansfield et al. Scheuermann Disease. StartPearls online. Abgerufen am 25.07.2023
- ↑ AWMF online. Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen S3-Leitlinie. 2021