Retinopathia pigmentosa
Synonym: Retinitis pigmentosa
Definition
Die Retinopathia pigmentosa, kurz RP, ist eine nicht-entzündliche hereditäre Retinopathie, die durch eine progrediente Degeneration der Netzhaut gekennzeichnet ist.
- ICD-10-Code: H35.5 Hereditäre Netzhautdystrophie
Epidemiologie
Ätiologie
Die RP beruht auf einem Strukturdefekt retinaler Proteine der Photorezeptoren oder des Pigmentepithels. Es kommt zunächst zu einem Verlust der Stäbchen und im Verlauf zu einem Verlust der Zapfen.
Formen
Man unterscheidet zwischen primärer und assoziierter Retinopathia pigmentosa.
Primäre Retinopathia pigmentosa
Die primäre Retinopathia pigmentosa macht etwa 90 % der Erkrankungen aus. Sie wird durch Genmutationen verursacht, bislang (2022) wurden Mutationen in knapp 100 verschiedenen Genen identifiziert.
Assoziierte Retinopathia pigmentosa
Die Retinopathia pigmentosa kann im Rahmen verschiedener Syndrome auftreten, z.B. bei:
Genetik
Mittels Genanalyse konnten bisher Mutationen in knapp 100 Genen identifiziert werden, die Auslöser für eine primäre Retinopathia pigmentosa sind.[2] Dabei sind sowohl Spontanmutationen möglich, als auch familiäre Vererbung. Es kommen autosomal-dominante (50–60 %), autosomal-rezessive (30–40 %) sowie X-chromosomale Erbgänge (5–15 %) vor. Einige Beispiele für betroffene Gene sind in der nachfolgenden Tabelle genannt.
Gen | Genlokus | Protein |
---|---|---|
RHO | 3q21-24 | Rhodopsin |
NRL | 14q11.1-2 | |
RP1 | 8q11-21 | Retinitis-Pigmentosa-1 Protein |
RP2 | Xp11.3 | XRP2 |
IMPDH1 | 7q31-35 | Inosinmonophosphat-Dehydrogenase 1 |
PRPF31 | 19q13.4 | Prä-mRNA-Prozessierungsfaktor 31 |
PRPF8 | 17p13.3 | Prä-mRNA-Prozessierungsfaktor 8 |
PRPH2 | 6p21.2 | Peripherin-2 |
ABCA4 | 1p22.1 | |
RPE65 | 1p31 | Retinoid-Isomerohydrolase |
MERTK | 2q14.1 | Tyrosin-Proteinkinase Mer |
Klinik
Der Zeitpunkt der Erstmanifestation und die jeweilige Verlaufsform der Erkrankung können divergieren. Beim Auftreten in der frühen Kindheit spricht man auch von einer juvenilen Retinopathia pigmentosa.
In der Regel zeigt sich als erstes Symptom eine zunehmende Einschränkung des Dämmerungssehens durch die Degeneration der Stäbchen. Im Verlauf der Erkrankung kommt es in der Regel zur vollständigen Nachtblindheit. Darüber hinaus besteht bei den Patienten eine Einschränkung des peripheren Sehens.
Die Retinadegeneration erfolgt von peripher nach zentral mit allmählicher Gesichtsfeldeinengung. Durch die periphere Einschränkung des Gesichtsfeldes kommt es zunächst zur Ausbildung eines Ringskotoms. Später kann sich ein sogenannter Tunnelblick bzw. ein Röhrengesichtsfeld entwickeln.
Die nachfolgende Degeneration der Zapfen führt zu Störungen des Farbsehens und zu einem Verlust des Visus bis zur Erblindung.
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose wird anhand der Anamnese gestellt. Gesichert wird die Diagnose durch die folgenden Untersuchungsmethoden:
Perimetrie
Perimetrisch sind im fortgeschrittenen Verlauf der Erkrankung Gesichtsfeldausfälle nachweisbar. Neben einer anfänglich orientierenden Fingerperimetrie ist eine Kontur- oder Schwellenperimetrie zur Quantifizierung der Ausfälle unerlässlich.
Funduskopie
Der auffälligste ophthalmoskopische Befund sind Ablagerungen von Pigmentaggregaten (Knochenkörperchen). Weitere mögliche Befunde sind:
- Gefäßverengungen
- Papillenverfärbungen („wachsgelbe Papille“)
- Zystoides Makulaödem
- Hintere subkapsuläre Katarakte
- Zellen im Glaskörper
Elektroretinogramm (ERG)
Im Elektroretinogramm ist die retinale Aktivität herabgesetzt. Zudem sind Amplitude und Frequenz der abgeleiteten Potentiale vermindert.
Farbtests
In späten Verlaufsstadien zeigen sich Störungen des Farbsehens.
Molekulargenetische Untersuchung
Durch eine molekulargenetische Untersuchung kann die ursächliche Mutation nachgewiesen werden.
Differentialdiagnosen
Mögliche Differentialdiagnosen der RP sind beispielsweise:
Die Pseudo-Retinopathia pigmentosa ist eine nichterbliche Netzhautdegeneration, die sich klinisch genauso wie die Retinopathia pigmentosa präsentiert. Sie wird jedoch durch Entzündungen (z.B. Tuberkulose oder Syphilis), Autoimmunerkrankungen, Intoxikationen oder Medikamente verursacht.
Therapie
Es existiert keine kausale Therapie der Erkrankung. Therapieversuche durch Gabe von Vitamin A können in seltenen Fällen eine Besserung oder Verzögerung der Symptomatik erzielen. Eine weitere Therapieoption zur Verlangsamung des Visusverlusts ist die Nahrungsergänzung mit Omega-3-Fettsäuren. Im Endstadium der Erkrankung kann durch Retina-Implantate das Kontrastsehen wiederhergestellt werden, das eine Hell-Dunkel-Unterscheidung und das Erkennen von Umrissen ermöglicht.
Für die Behandlung von Patienten mit einer nachgewiesenen biallelischen RPE65-Mutation ist das Orphan Drug Voretigen-Neparvovec zugelassen. Bei dem Medikament handelt es sich um das erste in Deutschland zugelassene ophthalmologische Gentherapeutikum.[3]
Den Patienten sollten Lesehilfen angeboten werden. Die betroffenen Familien sollten zudem zur Möglichkeit einer genetischen Beratung aufgeklärt werden.
Forschung
Langzeitstudien zu neueren Behandlungsmethoden wie Wachstumsfaktorapplikation und Stammzellimplantation gibt es bisher nicht.
Im Jahr 2021 konnte ein internationales Forschungsteam durch den Einsatz einer optogenetischen Gentherapie die Sehkraft eines erblindeten Patienten mit erblicher Retinopathia pigmentosa teilweise wiederherstellen.[4]
Quellen
- ↑ Pschyrembel - Retinopathia pigmentosa, abgerufen am 20.10.2022
- ↑ OMIM – Retinitis pigmentosa, abgerufen am 20.10.2022
- ↑ Gelbe Liste - Voretigen neparvovec, abgerufen am 20.10.2022
- ↑ Sahel et l. Partial recovery of visual function in a blind patient after optogenetic therapy, Nature Medicine, 2021
Literatur
- MDS Manual - Retinitis pigmentosa, abgerufen am 20.10.2022
- Orphanet - Retinitis pigmentosa, abgerufen am 20.10.2022
- Pro-Retina - Retinitis pigmentosa, abgerufen am 20.10.2022