Virulenzfaktor
Synonym: Pathogenitätsfaktor
Englisch: virulence factor, pathogenicity factor
Definition
Virulenzfaktoren sind die Eigenschaften eines Mikroorganismus (Bakterien, Viren, Parasiten, etc.), die seine krankmachende Wirkung (Virulenz) bestimmen. Sie verleihen den Erregern u.a. die Fähigkeit, an Zellen zu haften, in Zellen einzudringen und sie zu zerstören. Virulenzfaktoren können sowohl Strukturelemente als auch Stoffwechselprodukte eines Mikroorganismus sein.
Bakterielle Virulenzfaktoren
Adhäsine
- Fimbrien sind Oberflächenproteine, die es einem Bakterium ermöglichen, an Zielzellen zu haften. Hierbei reagieren die Adhäsine mit den homologen Rezeptoren der Wirtszelle. Man unterscheidet Mannose-sensitive (MS-Typ) und Mannose-resistente (MR-Typ) Fimbrien.
- Pili ermöglichen den Austausch von RNA oder DNA unter den Erregern.
- OMPs (Outer Membrane Proteins)
Antiphagozytosefaktoren
Antiphagozytosefaktoren verhindern die Phagozytose. Das bedeutet, das Bakterium wird nicht von „Fresszellen“ des Immunsystems aufgenommen und zerstört. Verschiedenste Bestandteile von Bakterien können antiphagozytär wirksam sein:
- Kapsel: Die Bakterienkapsel besteht aus Zucker- oder Aminosäure-Verbindungen. Bekapselte, krankmachende Bakterien sind beispielsweise Pneumokokken.
- M-Protein (auch M-Substanz) der A-Streptokokken: A-Streptokokken besitzen ein Oberflächenprotein, welches jedoch durch Antikörper inaktiviert werden kann.
- Protein A von Staphylococcus aureus: Das Protein A bindet das IgG der Abwehr „verkehrt herum“, nämlich am Fc-Ende, wodurch dieses nicht wirken kann (antiopsonierende Wirkung)
- Leukozidine: Leukozidine oder Phagozytentoxine sind bakterielle Stoffwechselprodukte, die eine schädigende Wirkung auf Phagozyten ("Fresszellen") haben. Beispielsweise verfügen manche Stämme von Staphylococcus aureus über das Panton-Valentine-Leukozidin.
- Koagulase: Dieses Protein wird beispielsweise von Staphylococcus aureus sezerniert. Koagulase und Prothrombin bilden zusammen Koagulothrombin, welches das gebundene Fibrinogen in Fibrin umwandelt. Fibrin bildet eine schleimige Schutzschicht für die Bakterien.
- Clumping factor von Staphylococcus aureus ist ein Oberflächenprotein, welches Fibrinogen bindet.
- Molekulare Mimikry: Tarnung von Bakterien durch wirtsähnliche Oberflächenmoleküle
- Antigenvariabilität: Täuschung des Immunsystems durch Änderung der Antigenstruktur
Invasionsfaktoren
Invasionsfaktoren - auch Invasine genannt - ermöglichen es den Erregern, sich im Gewebe auszubreiten. Dazu zählen zum Beispiel:
- Streptokinase: z.B. bei A-Streptokokken. Streptokinase aktiviert Plasminogen wodurch es zur Fibrinolyse, also zur Auflösung von Fibrin kommt.
- Hyaluronidase: Hyaluronidase greift die Hyaluronsäure des Bindegewebes an und wird auch als "Spreading factor" bezeichnet. Dieser Virulenzfaktor ist beispielsweise bei A-Streptokokken, Pneumokokken, Staphylokokken und Clostridium perfringens ausgebildet.
- Geißel: Geißeln ermöglichen die aktive Beweglichkeit der Bakterien
- Protease: Auflösung von Proteinen (Eiweiß)
- DNase: Auflösung der DNA
- Lipase: Auflösung von Lipiden (Fetten)
Endotoxine
Endotoxine sind Giftstoffe (Toxine) aus der äußeren Zellmembran gramnegativer Bakterien. Das einzig bekannte Endotoxin ist das Lipid A, welches bei allen gramnegativen Bakterien in den Lipopolysacchariden (LPS) der äußeren Membran vorkommt. Lipid A wird beim Absterben des Bakteriums freigesetzt und entfaltet dann seine toxische Wirkung:
- Interleukin 1 wird aus Makrophagen freigesetzt, wodurch es zu einer Fieberreaktion kommt
- TNFα (Tumornekrosefaktor α) wird freigesetzt. Dies führt zu einer Erweiterung der Gefäße (Vasodilatation), wodurch es zu einem septischen Schock kommen kann.
- Lipid A bindet an B-Zell-Rezeptoren, wodurch es zu einer Reifung der B-Lymphozyten kommt
- über den alternativen Weg wird das Komplementsystem aktiviert
- Beeinflussung des Kinin-Systems und der Blutgerinnung
Im Verlauf einer Sepsis (Blutvergiftung) mit gramnegativen Erregern kann es nach einer Antibiotika-Therapie zu einer Endotoxinvergiftung kommen, da durch das massenweise Absterben der Erreger sehr viel Endotoxin freigesetzt wird. Dadurch kann es zum Schock kommen.
Exotoxine
Exotoxine sind Giftstoffe, die von lebenden Bakterien sezerniert werden. Oft werden sie nur von Bakterien gebildet, die durch einen Bakteriophagen infiziert sind. Verschiedene Wirkungsweisen der Exotoxine sind:
- Lipase: Durch Lipase wird die Membran der Zielzellen enzymatisch geschädigt; z.B. α-Toxin von Clostridium perfringens
- Porenbildende Toxine: physikalische Schädigung der Membran durch die Induktion unregulierter transmembranöser Poren
- Neurotoxine: Diese Toxine schädigen die Nerven oder die Übertragung von Neurotransmittern
- Choleratoxin: Verursacht die wässrigen Durchfälle bei Cholera
- Diphtherietoxin: Hemmt einen Elongationsfaktor bei Diphtherie