Nebenwirkung
Synonyme: unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW), Schadwirkung, Störwirkung
Englisch: side effect, adverse drug reaction, adverse drug effect
Definition
Nebenwirkungen, kurz NW, sind weitere, in der Regel unerwünschte Wirkungen einer Therapie. Meist bezeichnet der Begriff unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), die zusätzlich zu der/den gewünschten Hauptwirkung/en auftreten. Die Nebenwirkungen bestimmen das Nebenwirkungsprofil eines Arzneistoffs und damit seine Verträglichkeit.
Abgrenzung
Im Gegensatz zu einem adverse event besteht bei einer Nebenwirkung ("adverse reaction") immer der Verdacht auf einen kausalen Zusammenhang mit der Einwirkung des Medikaments.
Hintergrund
Viele Nebenwirkungen sind mit der therapeutisch erwünschten Hauptwirkung untrennbar verbunden.[1]
Bei Symptomen, deren Ätiologie nicht geklärt werden kann, sollte eine durch die Medikation des Patienten bedingte Störung in Betracht gezogen werden, auch wenn in den Fachinformationen (bisher) keine entsprechenden Angaben zu finden sind. Klingen die Symptome bei einem Auslassversuch oder einer Umstellung der Therapie ab, kann das ein Hinweis auf eine unerwünschte Wirkung der Vormedikation sein.
Wird die Möglichkeit einer Arzneimittelstörwirkung übersehen, kann das Therapieversuche mit weiteren Arzneimitteln (Behandlungskaskaden) und ggf. eine Überdiagnostik zur Folge haben.
Einteilung
...nach Häufigkeit
Nebenwirkungen lassen sich nach der Häufigkeit ihres Auftretens unterteilen in:
Kategorie | Häufigkeit |
---|---|
sehr häufig | > 10 % |
häufig | 1 - 10 % |
gelegentlich | 0,1 - 1 % |
selten | 0,01 - 0,1 % |
sehr selten | < 0,01 % |
nicht bekannt | nicht abschätzbar |
Die Häufigkeit von Nebenwirkungen ist unter anderem vom pharmakologischen Profil einer Substanz und von ihrer Dosierung abhängig.
...nach Arzneimittelmenge
Die klassische Einteilung nach Rawlins und Thompson (1977) umfasst zwei Typen von Nebenwirkungen:
Typ A
Typ-A-Nebenwirkungen (A für "augmented") sind dosisabhängig und reproduzierbar. Eine höhere Dosis führt zu stärkeren Nebenwirkungen. Typ-A-Nebenwirkungen sind der häufigste Nebenwirkungstyp. Beispiele sind gastrointestinale Nebenwirkungen von NSAID, anticholinerge Effekte unter trizyklischen Antidepressiva, die Digitalisintoxikation und das Serotonin-Syndrom unter SSRI. Diese Nebenwirkungen können durch Dosisreduktion abgemildert werden.
Typ B
Typ-B-Nebenwirkungen (B für "bizarre") sind dosisunabhängig, können also bereits durch geringe Dosierungen ausgelöst werden. Sie treten in der Regel unerwartet auf, sind selten und nicht reproduzierbar. Beispiele sind die Penicillin-Hypersensitivität, die maligne Hyperthermie, das DRESS-Syndrom, das Stevens-Johnson-Syndrom oder die Abacavir-Hypersensitivität. Typ-B-Nebenwirkungen lassen sich nur durch das Absetzen und Vermeiden des Medikaments abstellen.
Typ C bis F
Nach klinischen und ätiologischen Gesichtspunkten definierten Edwards und Aronson (2000) weitere vier Typen von Nebenwirkungen:[2]
- Typ C ("chronic"): Dosis- und zeitabhängige Nebenwirkungen; hängen mit der kumulativen Dosis zusammen. Beispiele sind Hypokaliämie bei Laxanzien oder Nebenniereninsuffizienz durch Glukokortikoide. Therapie ist eine (ggf. ausschleichende) Dosisreduktion bzw. das Absetzen des Medikaments.
- Typ D ("delayed"): Verzögert eintretende Nebenwirkungen, die oft dosisabhängig sind. Beispiele sind kanzerogene oder teratogene Effekte sowie Spätdyskinesien bei Neuroleptika. Diese Nebenwirkungen sind bei einer notwendigen Medikation meist unvermeidbar.
- Typ E ("end of use"): Nebenwirkungen kurz nach dem Absetzen des Medikaments. Beispiel ist das Entzugssyndrom bei Opioiden. Die Therapie der Wahl ist die Substitutionstherapie.
- Typ F ("failure"): Unerwartetes Therapieversagen, das dosisabhängig ist. Es wird meist durch Wechselwirkungen ausgelöst. Ein Beispiel ist das Versagen von oralen Kontrazeptiva durch Induktion des CYP3A4-Enzymystems (z.B. durch Johanniskraut). Typ-F-Nebenwirkungen können durch Beachten der Wechselwirkungen und eine ggf. notwendige Dosiserhöhung vermieden werden.
...nach therapeutischer Konsequenz
- Dosislimitierende Nebenwirkungen: Die Nebenwirkungen beeinträchtigen die Gesundheit des Patienten so stark, dass die Behandlung mit dem Arzneimittel abgebrochen werden muss.
- Nicht dosislimitierende Nebenwirkungen: Nebenwirkungen sind zwar vorhanden, die Therapie kann aber weiter geführt werden.
Beispiele
Das Spektrum möglicher Nebenwirkungen von Medikamenten reicht von relativ harmlosen Begleiterscheinungen (z.B. Kopfschmerzen, Müdigkeit, Exanthem) bis hin zu Wirkungen, deren Schaden den Nutzeffekt des Medikamentes übersteigt. Ein Extremfall trat im Fall des Schlafmittels Contergan auf, das Missbildungen bei Embryos auslöste (und deshalb vom Markt genommen werden musste).
Abgrenzung
Vor allem bei Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite kann die Einordnung von Symptomen als Nebenwirkungen oder als Zeichen einer durch Überdosierung bedingten Arzneimittelintoxikation schwierig sein. Im Zweifelsfall sollte - wenn möglich - der Plasmaspiegel des Wirkstoffs bestimmt werden.
Erfassung
Die Erfassung von Nebenwirkungen ist Teil der Pharmakovigilanz. In Deutschland existiert ein Spontanmeldesystem: Angehörige der Heilberufe (z.B. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Krankenpflegepersonal, Hebammen) sowie andere im Gesundheitswesen tätige Personen aber auch Patienten können Verdachtsfälle unter Verwendung der entsprechenden Formulare an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn (BfArM) melden. Darüber hinaus gibt es Systeme von kommerziellen Drittanbietern (z.B. nebenwirkungen.de), die eine Online-Meldung ermöglichen.
Ärzte sind nach § 6 der Musterberufsordnung (MBO) verpflichtet, alle UAW zu melden. Faktisch wird dieser Verpflichtung allerdings selten nachgekommen.
Spontane Meldungen haben zwar einen geringeren Evidenzgrad als klinische Studien, jedoch kann die systematische Auswertung der gemeldeten Verdachtsfälle einen Hinweis auf eine kausale Beziehung zwischen einem Arzneimittel und einer UAW geben, die zuvor nicht oder unzureichend bekannt war.
Nationale Pharmakovigilanzzentren sollen in Deutschland das Spontanmeldesystem ergänzen. Sie erfassen und bewerten UAW gezielt bei einzelnen schweren Krankheiten oder spezifischen Patientengruppen (z.B. Schwangeren, Stillenden).
Rechtliches
Die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel und die nationale Umsetzung in Form des deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) verpflichten Pharmaunternehmen zur Dokumentation und Meldung aller Verdachtsfälle von UAW.
Die Meldung von ungewöhnlichen Impfkomplikationen werden gesondert durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Hier gilt eine gesetzliche Meldepflicht für Ärzte, Heilpraktiker und andere medizinische Berufe.
Literatur
- BfARM, PEI: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit Ausgabe 2, Juni 2016, abgerufen am 06.12.2021
Quellen
- ↑ zit. nach Michael Freissmuth. Pharmakologie und Toxikologie. Einführung. Spinger 2020
- ↑ Edwards R, Aronson JK Adverse drug reactions: definitions, diagnosis, and management, The Lancet, Vol. 356(9237), 1255-1259, 2000, abgerufen am 17.09.2019