Unit 731
Englisch: Unit 731, Manchu Detachment 731, Kamo Detachment, Ishii Unit
Definition
Die Unit 731 war eine geheime Forschungseinrichtung der kaiserlich japanischen Armee und bestand zwischen 1936 und 1945 in der besetzten Manschurei (China). Durch Bio- und Chemiewaffenexperimente und Menschenversuche wurden insgesamt mehrere Hunderttausend Menschen ermordet oder ihr Tod billigend in Kauf genommen.
Medizingeschichtliche Bedeutung
In den 1930er Jahren begann Japan eine großangelegte Biowaffenforschung in der besetzten Manschurei. Die Unit 731 wurde als kombinierte Gefängnis- und Forschungseinrichtung konzipiert. Auf dem Gelände bestanden Kapazitäten für bis zu 600 Gefangene, die von 3.000 Mitarbeitern bewacht wurden.[1] Schätzungen zufolge wurden bei den Menschenversuchen bis zu 10.000 Menschen ermordet. Chinesische Kriegsgefangene wurden als „Maruta“ (丸太 = Holzklotz) entmenschlicht.[2] Chinesen machten den Großteil der Gefangenen aus. Es wurden jedoch auch Kriegsgefangene aus Russland und Korea ermordet. Zusätzlich wurden Krankheitserreger in chinesischen Dörfern freigesetzt, wodurch zusätzlich ca. 200.000 Menschen starben.
Unit 731 führte zahlreiche medizinethisch verwerfliche Experimente durch, darunter
- Vivisektionen (häufig ohne Anästhesie)
- Infektionen mit Krankheitserregern (unter anderem Pest[3], Cholera[3], Anthrax[3], Typhus[3], Tuberkulose[4])
- Experimentelle Amputation und Organentnahmen (Messung des Blutverlusts, Autotransplantation, Ermittlung lebensnotwendiger Strukturen)
- Kälte- und Hitzeexposition
- Druck- und Vakuumexposition
- Bio- und Chemiwaffentests (z.B. Senfgas)
- Versuche an Schwangeren (Infektion mit sexuell übertragbaren Krankheiten, vertikale Infektionen)
- Entzugs-, Dehydrierungs- und Hungerexperimente
Die Unit 731 war in die japanische Universitätenlandschaft eingebettet. Ärzte und Studenten reisten zu Studienzwecken in die Einrichtungen der Militäreinheit und kehrten mit medizinischen Präparaten nach Japan zurück.[1] Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Daten der Unit 731 durch das US-Militär ausgewertet. Da die Forschung der Unit 731 sich primär auf Krankheitsverläufe bei fehlender therapeutischer Interventionen bezog und viele Dokumente vernichtet worden waren, wurde die wissenschaftliche Bedeutung als marginal eingestuft. Einzelne Erkenntnisse der Unit 731 fanden jedoch Eingang in militärische Protokolle (z.B. zur Behandlung von Frostbeulen, Tuberkulose und nach Senfgas-Exposition).[5]
Detaillierte Beschreibungen zu Krankheitsverläufen von Infektionserkrankungen wurden meist ohne Erklärung des medizinethischen Hintergrunds publiziert. Teils wurde vorgetäuscht, dass Daten in Tierversuchen erlangt worden wären.[6]
Aufarbeitung
Angehörige von Unit 731 machten häufig Karriere in medizinischen Forschungs- und Bildungseinrichtungen, sowie in der pharmazeutischen Privatwirtschaft.[7]
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde den verantwortlichen Wissenschaftlern im Austausch gegen ihre Forschungsdaten Immunität gewährt. Die USA nutzten die so gewonnenen Daten zum Ausbau ihrer eigenen Forschung zu biologischen und chemischen Kampfstoffen, wodurch viele Daten zunächst unter Geheimhaltung fielen. Im 21. Jahrhundert wurde bekannt, dass die medizinethisch bedenkliche Forschung der Unit 731 nicht wie bisher angenommen wissenschaftliche Standards grundsätzlich grob verletzte, sondern teils quasi-experimentelle Versuchsbedingungen mit Interventions- und Kontrollgruppen geschaffen wurden.[4]
Der Kriegsverbrecherprozess von Chabarowsk gilt neben den Nürnberger Prozessen (Nürnberger Ärzteprozess) und den Tokioter Prozessen als wichtiger Meilenstein zur Ahndung von im Zweiten Weltkrieg begangenen Kriegsverbrechen. In Chabarowsk (Sovietunion) wurden 1949 zwölf an den Menschenversuchen beteiligte Personen zu teils langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Im Jahr 1956 wurden die Verurteilten freigelassen.[8][9] Weniger bekannt ist, dass ein Militärtribunal des US-Militärs in Yokahoma im Jahr 1948 neun Professoren und Medizinstudenten verurteilte, die Vivisektionen an amerikanischen Kriegsgefangenen vorgenommen hatten.[10]
In den vergangenen Jahren sind die Verbrechen der Unit 731 verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt.[11] Die Unit 731 ist die bekannteste der japanischen Forschungseinrichtungen zu Biowaffen. Daneben wurde in den Forschungseinrichtungen Unit 1855, Unit 1644, Unit 8604 und Unit 942 in Peking, Nanking, Kanton und Singapur zu biologischen Waffen geforscht.[12]
Zwischen Deutschland und Japan bestand bis ins Jahr 1945 wissenschaftlicher Austausch über Biowaffen-Experimente.[13][14] Neben Forschungsberichten wurden auch Proben ausgetauscht.[13] Deutschland lieferte unter anderem Gelbfieber-Viren nach Japan.[13] Der Wissenschaftsattaché der japanischen Botschaft, Hojo Enryo, hielt in Berlin im Jahr 1941 eine Rede über biologische Kriegsführung und stand in regem Austausch mit deutschen Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts.[15]
Der deutsche Mediziner Gerhard Rose besuchte auf einer Asienreise 1933 japanische Forschungseinrichtungen in Japan und China.[16] In Deutschland baute Rose ein Forschungsinstitut auf, war an Menschenversuchen unter anderem im Konzentrationslager Buchenwald beteiligt und wurde im Nürnberger Ärzteprozess zu lebenslanger Haft verurteilt.[17]
Weblinks
- A Scientific Method to the Madness of Unit 731’s Human Experimentation and Biological Warfare Program
- From Tokyo to Khabarovsk: Soviet War Crimes Trials in Asia as Cold War Battlefields
- Materials on the trial of former servicemen of the japanes army charged with manufacturing and employing biological weapons
- Medizinische Humanexperimente der japanischen Truppen für biologische Kriegsführung in China 1932 - 1945 (Deutsche Digitale Bibliothek)
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Baader G.; Lederer S.E.; Low M.; Schmaltz F.; Schwerin A.V.: Pathways to Human Experimentation, 1933-1945: Germany, Japan, and the United States. Osiris. 2005, S. 222
- ↑ Baader G.; Lederer S.E.; Low M.; Schmaltz F.; Schwerin A.V.: Pathways to Human Experimentation, 1933-1945: Germany, Japan, and the United States. Osiris. 2005, S. 223
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Kishor Johnson: A Scientific Method to the Madness of Unit 731's Human Experimentation and Biological Warfare Program 2022, S. 35
- ↑ 4,0 4,1 Kishor Johnson: A Scientific Method to the Madness of Unit 731's Human Experimentation and Biological Warfare Program 2022, S. 46
- ↑ Sophie Hammond: The Experiments of Unit 731: Torture in the Name of Warfare 2018
- ↑ Zohar Lederman et al.: Unit 731 and history-informed professional identity formation 2025
- ↑ Baader G.; Lederer S.E.; Low M.; Schmaltz F.; Schwerin A.V.: Pathways to Human Experimentation, 1933-1945: Germany, Japan, and the United States. Osiris. 2005, S. 224
- ↑ Neue Zürcher Zeitung (NZZ): Verbrecherische Versuche am Menschen 2006 (abgerufen am 19.05.2025)
- ↑ DER SPIEGEL: Bakterien: Atombombe veraltet 1950 (abgerufen am 12.02.2013)
- ↑ Brody H. et al.: United States Responses to Japanese Wartime Inhuman Experimentation after World War II: National Security and Wartime Exigency. Camb Q Healthc Ethics. 2014 Apr;23(2):220–230. doi: 10.1017/S0963180113000753. PMID: 24534743; PMCID: PMC4487829. (abgerufen am 01.12.2025)
- ↑ Lederman Z.: Unit 731 and history-informed professional identity formation. The Lancet. 2025 Feb 8;405(10477):465. doi: 10.1016/S0140-6736(24)02682-5.
- ↑ Baader G.; Lederer S.E.; Low M.; Schmaltz F.; Schwerin A.V.: Pathways to Human Experimentation, 1933-1945: Germany, Japan, and the United States. Osiris. 2005, S. 220
- ↑ 13,0 13,1 13,2 Altheide B.: Biohazard: Unit 731 and the American Cover-Up. Faculty Mentor: Dr. Roy Hanashiro. University of Michigan-Flint, S. 4
- ↑ U.S. Government Printing Office: Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Volume I. Washington, D.C.: U.S. Government Printing Office; 1949.
- ↑ Martin B.: Japanese-German Collaboration in the Development of Bacteriological and Chemical Weapons and the War in China. In: Spang C.W.; Wippich R.-H. (Hrsg.): Japanese-German Relations, 1895–1945: War, Diplomacy and Public Opinion. London: Routledge; 2006. S. 207.
- ↑ U.S. Government Printing Office: Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Volume I. Washington, D.C.: U.S. Government Printing Office; 1949.
- ↑ United States of America v. Karl Brandt et al. (Medical Case): Transcript for NMT 1: Medical Case, 17-18 April 1947. Trials of War Criminals before the Nuremberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10. Nuremberg, Germany, 1946-1949. Harvard Law School Library, Nuremberg Trials Project.