Lutzomyia longipalpis
Definition
Lutzomyia longipalpis ist eine anthropophile und zoophile Sandmücke der Gattung Lutzomyia, die als hauptsächlicher Vektor für die Übertragung des alleinigen Erregers Leishmania infantum der amerikanischen viszeralen Leishmaniose verantwortlich ist.
Name des Erregers
In Südamerika wurde der Erreger früher als Leishmania chagasi bezeichnet. Nach heute vorherrschender Auffassung handelt es sich jedoch bei "infantum" und "chagasi" um die gleiche Spezies. In WHO-Dokumenten (auch in PAHO-Dokumenten) ist heute auch für den südamerikanischen Erreger der Name "infantum" gebräuchlich, während südamerikanische Quellen zum Teil weiter den Namen "chagasi" verwenden.
Hintergrund
Lutzomyia longipalpis ist heute von Mexiko bis Argentinien und Uruguay vertreten, und zwar (außer in Belize) in allen Ländern Mittelamerikas und fast überall im tropischen und subtropischen Südamerika östlich der Anden. Insbesondere in den letzten beiden Dekaden haben in Süd- und Mittelamerika in der Folge großer Infrastrukturprojekte (Straßenbauten, Stauwerkbauten, Elektrifizierung, Erdgaspipelines) bedeutende Migrationsbewegungen von den früheren Primär- und Sekundärwäldern, Savannen und peridomestischen Siedlungsgebieten in neu erschaffene, ungeplant wachsende suburbane und urbane Räume am Rande früherer städtischer Gebiete mit Tendenz zur Slumbildung stattgefunden.[1] Durch diese Projekte und die damit verbundenen Wanderungsbewegungen sowie durch großflächige Abholzungen zur Schaffung neuer landwirtschaftlicher Flächen und damit verbundener neuer Bewässerungssysteme hat sich zumindest das Mikroklima verschiedener Gebiete erheblich verändert. Die häufig armen Migranten wurden von Hunden und auch von mitgewanderten Sandmücken der Spezies Lutzomyia longipalpis in ihre neue sozioökonomisch meist wieder ärmliche Umgebung mit häufig eingestreuten landwirtschaftlichen Elementen (peri-urbane Umgebung mit z.B. Haltung von Hühnern, wenigen Kühen und anderen Nutztieren primär zum Eigenbedarf, Kuhweide auf öffentlichem Grund) begleitet.
Reservoirwirte
In den neu erschlossenen urbanen und suburbanen Räumen hat sich ein relativ einfaches Infektionsschema für die viszerale Leishmaniose herausgebildet: Der Erreger Leishmania infantum wird von Sandmücken der Spezies Lutzomyia longipalpis von Haushunden und Menschen auf Haushunde und Menschen übertragen. Aus humanmedizinischer Sichtweise handelt es sich um eine zoonotische Infektionskrankheit mit Haushunden als Reservoirwirten. Wesentlich gravierender allerdings ist die häufig auch die Dermis betreffende viszerale Erkrankung für die (oft herrenlosen streunenden oder verwilderten) Hunde, bei denen der Tod durch Leishmaniose ein weit verbreitetes Schicksal darstellt. Hier erfolgt die Infektion über den Vektor meist von Hund zu Hund.
Nur in den ursprünglichen Wäldern und Savannen Brasiliens haben sich der Brasilianische Kampfuchs Lycalopex vetulus und der Maikong oder Krabbenfuchs Cedocyon thous (beide den Echten Hunden zugehörig) als Wildreservoirwirte erhalten. Außerdem kann in Brasilien noch das Weißohropossum Didelphis albiventris und in Kolumbien das Südopposum Didelphis marsupialis (beide Kulturfolger) in den Infektionskreislauf einbezogen sein.[2]
In Brasilien gelten auch Hauskatzen als Reservoirwirte.[2]
Die obige Darstellung der Reservoirwirte orientiert sich an der Verbreitung von Leishmania infantum als Erreger menschlicher Leishmaniosen gemäß WHO.[2] Lutzomyia longipalpis saugt auch das Blut anderer Tiere wie z.B. das von Hühnern und vermutlich auch das von anderen Vögeln, jedoch sind diese anderen Tiere nicht in den Kreislauf der durch Leishmania infantum bewirkten Infektionskrankheit eingebunden.[1] Leishmania infantum tritt gemäß dem WHO-Report 949[2] aus dem Jahr 2010 in Belize, Ecuador, Panama, Peru und den 3 Guayanas nicht als Erreger menschlicher Leishmaniose auf. Chile und Uruguay gelten gemäß [2] als Länder ohne Leishmaniosen.
Erwähnt werden sollte noch, dass im gesamten Verbreitungsgebiet der viszeralen Erkrankung auch die durch Leishmania infantum bewirkte kutane Leishmaniose auftreten kann. In nennenswertem Umfang kommt die kutane Krankheitsausprägung jedoch nur in Mittelamerika (El Salvador, Honduras, Nicaragua) vor. In Costa Rica ist die kutane Leishmaniose die alleinige Krankheitsform.
Übertragung anderer Leishmanienspezies
In geringem Umfang ist Lutzomyia longipalpis in Brasilien auch an der Verbreitung von Leishmania amazonensis beteiligt.[2]
Unter Laborbedingungen ist es verschiedenen Forschern gelungen, Lutzomyia longipalpis mit einer Reihe anderer Leishmanienspezies zu infizieren. Dazu gehörten auch Spezies der Alten Welt wie Leishmania tropica oder Leishmania major.[3]
Andere Sandmückenspezies in Lu. longipalpis-Habitaten
In Mexiko, Nicaragua, Costa Rica, Kolumbien und Venezuela war (und ist noch heute) Lutzomyia evansi sympatrisch mit Lutzomyia longipalpis an der Verbreitung von Leishmania infantum beteiligt. [1][2] Lutzomyia evansi hat jedoch nicht an der Migrationsbewegung der letzten Jahrzehnte teilgenommen. In den Primär- und Sekundärwäldern wie auch den Savannen Brasiliens sind auch noch einige andere Spezies der Gattung Lutzomyia für die Verbreitung des Erregers mitverantwortlich.
Heterogenität von Lutzomyia longipalpis
Zwischen verschiedenen geographisch definierten Populationen von Lutzomyia longipalpis wurde schon früh (1969) eine Reihe kleinerer morphologischer Unterschiede ermittelt. Später wurde festgestellt, dass auch die von verschiedenen Populationen verwendeten Pheromone erheblich voneinander differieren.[3] Verschiedene Autoren haben mit unterschiedlichen Begriffen versucht, den ermittelten Variabilitäten gerecht zu werden. Nach der wohl am meisten verwendeten Terminologie handelt es sich bei Lutzomyia longipalpis um einen Komplex sehr ähnlicher Spezies[4][3], die von bestimmten Autoren auch als Zwillings-Spezies bezeichnet werden. Auch der Begriff Subspezies wird bisweilen verwendet. Offensichtlich hat sich von Urwald- und Savannen-Populationen bis zu urbanen Gemeinschaften (regional von Mexiko bis Argentinien und Uruguay) eine Vielzahl an die jeweilige Umgebung angepasster ähnlicher Longipalpis-Ausprägungen herausgebildet. Identifiziert werden diese Ausprägungen häufig über den Ort der Auffindung und über Formeln für diesen Spezies zugeschriebene Pheromone.[3] Eine Taxonomie mit einer Namensvergabe hat bisher nicht stattgefunden, schon auch deshalb, weil man nicht genau weiß, ob der Begriff "Spezies" für die entsprechende Longipalpis-Variante angemessen ist.[4]
Eiablage
Die Eiablage von Lutzomyia longipalpis erfolgt in Einbuchtungen oder Spalten feuchter organischer Stoffe oder auch des Kots von Tieren. Nicht ordnungsgemäß entsorgter organischer Abfall bildet eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung von Larven. Auch Hühnerställe haben sich als gute Entwicklungsbasis erwiesen.[3]
Vektorkontrolle
Lutzomyia longipalpis gehört, wie auch Lutzomyia evansi, zu den endophilen Sandmücken, so dass der Einsatz von Sprühmitteln mit Residualeffekt in Innenräumen IRS (von englisch "indoor residual spraying") grundsätzlich möglich ist. In sehr kleinräumigen, meist peridomestischen ländlichen Gebieten wurde Lutzomyia longipalpis auch teilweise erfolgreich (meistens mittels Deltamethrin[5]) bekämpft, während sich allerdings der Erreger großräumig über Südamerika bis an seine vermutliche heutige südliche Klimagrenze am Rio de la Plata ausgebreitet hat.
In urbanen Regionen wird IRS nicht eingesetzt. Hier wird teilweise versucht, durch eine Reduzierung unkontrolliert entsorgter organischer Abfälle die Ausbreitung des Erregers im Rahmen des so Möglichen einzudämmen.[1]
Reservoirkontrolle
Besonders in Brasilien wurde in einigen städtischen Gebieten nach WHO-Vorgaben versucht, durch Keulen infizierter Hunde die Ausbreitung viszeraler Leishmaniosen einzuschränken. Diese Programme muss man allerdings zumindest im großflächigeren Maßstab als gescheitert ansehen. Wie auch bei Menschen gibt es eine große Anzahl subklinisch oder geringfügig erkrankter Hunde. Bei deren Besitzern fehlt häufig die Einsicht, diese Hunde töten zu lassen.[4] Vielfach werden Hunde kostengünstig mit Allopurinol behandelt, wodurch deren Leben ohne tatsächliche Heilung mit epidemiologisch negativen Auswirkungen verlängert wird.
Verschiedene Länder haben sich gegenüber der PAHO verpflichtet, eine Reservoirkontrolle bei Hunden durchzuführen. Allerdings sind diese Verpflichtungen dort, wo die Erkrankung vieler Hunde offensichtlich ist, in Allgemeinen nicht bekannt.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Salomón et al. Lutzomyia longipalpis urbanisation and control, Mem Inst Oswaldo Cruz, Rio de Janeiro, Vol. 110(7): 831-846, November 2015
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 Control of the leishmaniases WHO Technical Report 949, WHO 2010
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Soares/Turco Lutzomyia longipalpis (Diptera: Psychodidae: Phlebotominae): a review, Anais da Academia Brasileira de Ciências (2003) 75(3): 301-330
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Lainson/Rangel Lutzomyia longipalpis and the eco-epidemiology of American visceral leishmaniasis, with particular reference to Brazil. A Review. Mem Inst Oswaldo Cruz, Rio de Janeiro, Vol. 100(8): 811-827, December 2005
- ↑ Deltamethrin WHO Specifications and Evaluations for Public Health Pesticides, WHO February 2015
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