Krisenintervention
Definition
Unter einer Krisenintervention versteht man zeitlich begrenzte, strukturierte Maßnahmen zur Bewältigung akuter psychischer Ausnahmesituationen. Ziel ist die kurzfristige Stabilisierung, Orientierung und Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit. Kriseninterventionen sind ein Bestandteil der psychosozialen Notfallversorgung und stellen eine Schnittstelle zwischen Akutversorgung und weiterführender Therapie dar.
Hintergrund
Eine Krise entsteht, wenn eine Person durch innere oder äußere Ereignisse in einen Zustand gerät, in dem bisherige Bewältigungsstrategien versagen. Typisch ist ein Erleben von Kontrollverlust, Überforderung und massiver emotionaler Belastung. Ohne Intervention besteht das Risiko von Suizidalität, psychosomatischen Komplikationen oder der Entwicklung längerfristiger psychischer Störungen (z.B. PTBS).
Indikationen
Eine Krisenintervention wird vor allem eingesetzt bei:
- Suizidgedanken und -handlungen
- Akuten Traumata (z.B. Gewalt, Naturkatastrophen, Unfälle)
- Plötzlichen Verlusten (Tod nahestehender Personen, Trennungen)
- Dekompensation bei vorbestehenden psychiatrischen Erkrankungen
- Belastungssituationen im medizinischen Umfeld (z.B. nach Diagnose schwerer Erkrankungen)
Ziele
Eine Krisenintervention dient der emotionalen Stabilisierung und der Vorbeugung einer Selbst- oder Fremdgefährdung. Sie vermittelt Sicherheit, Halt und Orientierung und fördert die Selbstwirksamkeit der Betroffenen.
Methoden und Vorgehen
- Beziehungsaufbau: Rasche Herstellung von Kontakt, Empathie und Vertrauen
- Exploration: Strukturierte Erhebung der aktuellen Problemlage und der subjektiven Belastung
- Stabilisierung: Techniken zur Beruhigung und Distanzierung (z. B. Atemübungen, Imaginationsübungen)
- Entlastung: Validierung von Gefühlen, Normalisierung akuter Reaktionen
- Handlungsplanung: Entwicklung erster Schritte zur Bewältigung, Priorisierung konkreter Maßnahmen
- Ressourcenarbeit: Aktivierung sozialer Netzwerke und persönlicher Stärken
- Vermittlung: Weiterleitung an Fachversorgung oder stationäre Einrichtungen bei Bedarf
Akteure
Die Durchführung erfolgt – je nach Setting und Kontext – durch unterschiedliche Fachkräfte bzw. Organisationen, darunter
- Polizei, Rettungsdienste und Katastrophenschutz, die oft als erste Kontaktpersonen eine wichtige Rolle bei der Einleitung von Krisenintervention übernehmen
- psychiatrische Notfallambulanzen (ärztlich-psychologische Krisenversorgung)
- psychosoziale Notfallversorgung (PSNV), häufig organisiert durch Hilfsorganisationen (z.B. Deutsches Rotes Kreuz, Malteser, Johanniter)
- Krisendienste der Kommunen oder Länder
- Notfallseelsorge zur spirituellen Begleitung
- Telefon- und Online-Seelsorge als niedrigschwellige und rund um die Uhr verfügbare Anlaufstellen
Abgrenzung
Krisenintervention ist von längerfristigen psychotherapeutischen Verfahren abzugrenzen. Während Psychotherapie die Bearbeitung von Ursachen, Konflikten und Störungen fokussiert, konzentriert sich Krisenintervention auf akute Stabilisierung und Überbrückung bis zur Anschlussversorgung.
Historischer Kontext
Der Begriff wurde maßgeblich durch Erich Lindemann geprägt, der 1944 die psychischen Reaktionen von Überlebenden der „Cocoanut Grove“-Brandkatastrophe in Boston beschrieb. Daraus entwickelte sich das Konzept der „Crisis Intervention“ als spezifische Form psychologischer Akutbehandlung.
Literatur
- Lindemann E. Symptomatology and management of acute grief. 1944. Am J Psychiatry. 1994;151(6 Suppl):155-160. doi:10.1176/ajp.151.6.155
- Wöller, W., & Kruse, J. (2017). Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. 3. Aufl. Stuttgart: Schattauer.
- Caplan, G. (1964). Principles of preventive psychiatry. Basic Books.