Kollateralversagen
Synonym: Versagen der Kollateralzirkulation
Englisch: collateral circulation failure, collateral collapse, failure of collateral perfusion, loss of collateral flow
Definition
Als Kollateralversagen bezeichnet man einen pathologischen Durchblutungszustand, bei dem die Kollateralversorgung nicht mehr ausreicht, um die Perfusion eines durch eine arterielle Okklusion bedrohten Gewebes aufrechtzuerhalten. Das Versagen der Umgehungskreisläufe führt zu einer verstärkten Ischämie und zu einem Wachstum des Infarktbezirks, da das betroffene Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird.
Pathophysiologie
Beim ischämischen Schlaganfall beschreibt das Kollateralversagen den Verlust der kompensatorisch aufrechterhaltenen Durchblutung des Penumbra-Gewebes. Die Verschlechterung kann spontan, durch systemische Faktoren (z.B. Blutdruckabfall, Herzinsuffizienz) oder iatrogen (z. B. Embolisation während einer Thrombektomie) ausgelöst werden.
Das Ergebnis ist eine Zunahme des Infarktvolumens und damit eine Verschlechterung des klinischen Zustands. In der Bildgebung zeigt sich eine Abnahme der Kollateralqualität sowie eine Ausdehnung hypoperfundierter Areale. Die Dynamik des Kollateralversagens wird daher häufig als „collateral clock“ bezeichnet – sie bestimmt maßgeblich das therapeutische Zeitfenster bei Reperfusionsverfahren.
Klinik
Patienten mit Kollateralversagen weisen eine deutlich schlechtere Prognose auf. Das Phänomen führt zu einer raschen Ausdehnung des Infarktkerns, einer verminderten Rettung der Penumbra und damit zu einer schlechteren funktionellen Erholung.
Die Effektivität von Reperfusionsmaßnahmen wie Thrombektomie oder Lysetherapie ist reduziert, während das Risiko für Komplikationen – insbesondere symptomatische intrazerebrale Blutungen – zunimmt. Betroffene Patienten erreichen seltener einen günstigen funktionellen Status (z.B. Modifizierte Rankin-Skala 0–2) und haben ein erhöhtes Risiko für schwere Behinderungen oder Tod.
Risikofaktoren
Das Risiko für ein Kollateralversagen steigt mit:
- zunehmendem Alter
- männlichem Geschlecht
- Hyperglykämie
- komplexen Gefäßverschlüssen (z.B. Karotis-T-Okklusion)
- chronischer arterieller Hypertonie
- fortgeschrittener Atherosklerose
- vorausgegangenen ischämischen Ereignissen (Schlaganfall, TIA)
- ausgeprägter Small Vessel Disease
- Hyperintensitäten der weißen Substanz ("white matter hyperintensities") in der MRT-Bildgebung
Diese Faktoren reduzieren die mikrovaskuläre Anpassungsfähigkeit und damit die Effektivität der Kollateralzirkulation.
Literatur
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