Inferenzstatistik
Synonyme: induktive Statistik, beurteilende Statistik, schließende Statistik
Definition
Die Inferenzstatistik ist ein Teilgebiet der Statistik. Sie ermöglicht es, auf Grundlage von Stichprobendaten, Rückschlüsse auf eine Grundgesamtheit zu ziehen. Während die deskriptive Statistik Daten beschreibt, ordnet und visualisiert, beantwortet die Inferenzstatistik Fragestellungen, die über die beobachtete Stichprobe hinausgehen. Sie erlaubt die Schätzung unbekannter Parameter, die Prüfung von Hypothesen und die Quantifizierung von Unsicherheit.
Abgrenzung
Die deskriptive Statistik reduziert komplexe Datensätze auf Kennzahlen und graphische Darstellungen, ohne über die untersuchte Stichprobe hinauszugehen. Die Inferenzstatistik ergänzt diesen Zugang, indem sie systematische Verfahren bereitstellt, mit denen sich Verallgemeinerungen ermöglichen und Wahrscheinlichkeiten für Fehlentscheidungen berechnen lassen. Beide Bereiche sind komplementär und in der Praxis eng miteinander verbunden.
Grundlagen
Da in den meisten praktischen Anwendungen keine Vollerhebungen möglich sind, wird i.d.R. mit Stichproben gearbeitet. Die Inferenzstatistik nutzt Wahrscheinlichkeitsmodelle, um die Beziehung zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit zu beschreiben.
Wesentliche Elemente sind:
- Schätzung: Mit Punktschätzern und Intervallschätzungen werden Kenngrößen wie Mittelwert oder Varianz auf Populationsebene angenähert. Konfidenzintervalle geben den Bereich an, in dem der wahre Parameter mit einer bestimmten Irrtumswahrscheinlichkeit liegt.
- Hypothesentests: Eine Nullhypothese (H₀) wird einer Alternativhypothese (H₁) gegenübergestellt. Anhand von Teststatistiken und Verteilungen entscheidet man, ob die Daten mit H₀ vereinbar sind.
- Fehlerwahrscheinlichkeiten: Der α-Fehler (Fehler 1. Art) bezeichnet das Risiko, H₀ fälschlich zu verwerfen. Der β-Fehler (Fehler 2. Art) beschreibt, eine falsche H₀ beizubehalten. Die Teststärke (Power) eines Verfahrens ergibt sich aus 1 – β und gibt die Wahrscheinlichkeit an, einen vorhandenen Effekt auch tatsächlich nachzuweisen.
- Signifikanzniveau: Üblicherweise wird ein Grenzwert von 5 % verwendet. Ergebnisse unterhalb dieses Schwellenwertes gelten als statistisch signifikant, müssen jedoch inhaltlich interpretiert werden.
- Parametrische vs. nichtparametrische Verfahren: Parametrische Tests beruhen auf spezifischen Verteilungsannahmen und sind bei erfüllten Voraussetzungen besonders teststark. Nichtparametrische Methoden kommen ohne feste Verteilungsannahmen aus und sind bei schiefen Verteilungen oder kleinen Stichproben geeignet.
- Univariate vs. multivariate Ansätze: Univariate Verfahren untersuchen eine einzelne Zielvariable. Multivariate Methoden berücksichtigen mehrere abhängige Variablen oder mehrere Prädiktoren gleichzeitig und erlauben die Analyse komplexerer Zusammenhänge.
Klassische Verfahren
Typische Methoden der Inferenzstatistik sind:
- t-Test: Vergleich von Mittelwerten zweier Gruppen; bei unverbundenen Stichproben oder für abhängige Messungen (z.B. Vorher-Nachher-Vergleiche).
- Chi²-Test: Untersuchung von Zusammenhängen zwischen kategorialen Variablen, etwa in Kontingenztafeln.
- Varianzanalyse (ANOVA): Vergleich von Mittelwerten in mehr als zwei Gruppen. Erweiterungen wie MANOVA oder ANCOVA berücksichtigen mehrere abhängige Variablen oder Kovariaten.
- Korrelations- und Regressionsanalyse: Untersuchung linearer Zusammenhänge und Modellierung von Abhängigkeiten zwischen Variablen.
- Nichtparametrische Verfahren: Tests wie Mann-Whitney-U oder Wilcoxon, die eingesetzt werden, wenn Verteilungsannahmen nicht erfüllt sind.
Bedeutung
Die Inferenzstatistik ist Grundlage nahezu aller empirisch arbeitenden Wissenschaften. Sie erlaubt es, begrenzte Datenmengen systematisch auf größere Zusammenhänge zu übertragen und die Unsicherheit solcher Schlüsse transparent zu machen.
In der Medizin ist sie unverzichtbar für:
- die Wirksamkeitsprüfung neuer Therapien in randomisierten kontrollierten Studien,
- die Bewertung diagnostischer Tests anhand von Sensitivität, Spezifität und ROC-Analysen,
- die Entwicklung und Validierung klinischer Prognosemodelle und
- epidemiologische Studien zu Risikofaktoren und Krankheitsverläufen.
Auch in Psychologie, Sozialwissenschaften, Ökonomie oder Biologie bildet sie das Fundament, um Hypothesen empirisch abzusichern und Ergebnisse zu verallgemeinern.
Quelle
- Bühl, A. (2018). SPSS – Statistik für die Sozialwissenschaften. Pearson Studium.