Gegenruck
Synonym: okuläre Zickzackbewegungen
Englisch: square wave jerk
Definition
Als Gegenruck oder Square Wave Jerk bezeichnet man eine Augenbewegungsstörung, bei der es zu einer unwillkürlichen, geringgradigen und ruckartigen (sakkadischen) Blickabwendung zwischen 0,5 und 2° vom Fixationsziel kommt. Anschließend wird der Blick durch eine Rückstellsakkade wieder auf das ursprüngliche Ziel fixiert. Der Gegenruck ist eine Form der sakkadischen Intrusion.
Epidemiologie
Gegenrucke sind die häufigste Form der sakkadischen Intrusion. Die angegebenen Prävalenzen beim gesunden Erwachsenen variieren zwischen 24 und 60 %, wobei die Häufigkeit mit dem Alter zunimmt.[1][2]
Bei Kindern und Jugendlichen gibt es bislang nur wenig epidemiologische Daten. Eine kleinere Studie beobachtete bei 90 % der minderjährigen gesunden Probanden Gegenrucke.[3]
Ätiologie
Gegenrucke sind ein sehr häufiger Befund beim Gesunden und meist idiopathisch.[2] Eine erhöhte Anzahl von Gegenrucken findet sich jedoch auch in Assoziation mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen. Zu diesen zählen u.a.:[4][5][6][7]
- Erkrankungen der Basalganglien, wie:
- Parkinson-Syndrome, insbesondere PSP
- Chorea Huntington
- essentieller Tremor
- Ataxien und Kleinhirnerkrankungen
- Friedreich-Ataxie
- Spinozerebelläre Ataxien (Typen 1, 2, 3, 6, 8, 10, 14, 20, 21, 25, 27, 29, 37, 46)
- paraneoplastische Kleinhirndegeneration sowie andere autoimmun bedingte zerebelläre Ataxien
- Ataxie mit Okulomotorischer Apraxie, Typ 2
- Ataxia teleangiectatica
- Amyotrophe Lateralsklerose
- behaviorale Variante der frontotemporalen Demenz
- Stiff-Person-Syndrom
- zerebrale Langerhanszellhistiozytose
- seltene neurodegenerative Erkrankungen
Pathogenese
Die Pathogenese ist bislang (2024) nicht vollständig geklärt. Angenommen wird eine Dysfunktion der neuronalen Netzwerke für Augenbewegungen im Hirnstamm. Dabei ist vermutlich insbesondere das Zusammenspiel der Omnipausen-Neurone und der hemmenden Burst-Neurone gestört. Wahrscheinlich entsteht in der Folge eine kleine, aberrante Sakkade. Wird die resultierende foveale Fehlposition wenig später detektiert, kommt es wahrscheinlich zu einer Korrektursakkade durch den Colliculus superior.[5]
Da die bei der Entstehung von Gegenrucken beteiligten Hirnstammareale durch Kleinhirn, Basalganglien und Cortexanteile direkt oder indirekt beeinflusst werden,[5] begünstigen Erkrankungen dieser Areale vermutlich das Auftreten von Gegenrucken.
Klinik
Es handelt sich um einen reinen Untersuchungsbefund, der beim Patienten keinerlei Beschwerden verursacht.
Diagnostik
Gegenrucke können bereits bei neurologischer oder ophthalmologischer Untersuchung auffallen.
Sicherer identifiziert, quantifiziert und gegenüber anderen Augenbewegungsstörungen abgegrenzt werden können sie per Videookulographie (VOG). Hier zeigen sie sich als konjugierte Sakkade mit einem Bewegungsausmaß von 0,5 bis 5°[4] (teils wird 0,5 bis 2° angegeben[8]), bei der es nach einem intersakkadischen Intervall von 200 bis 400 ms zur Rückstellsakkade kommt.[4] Zuallermeist handelt es sich dabei um horizontale Bewegungen, bei zugrundeliegender Friedreich-Ataxie können jedoch auch schräge oder vertikale Bewegungen auftreten.[5]
Validierte Grenzwerte für eine pathologische Anzahl an Gegenrucken existieren derzeit (2024) nicht. Einige Autoren schlagen hierfür >16 pro Minute vor,[2] an anderer Stelle werden >10 pro Minute als Grenzwert genannt.[9]
Differentialdiagnostik
Abzugrenzende Okulomotorikstörungen sind:
- horizontaler Nystagmus: stets langsame Bewegungsphase vorhanden, rhythmisch-periodischer Verlauf, klinisch jedoch oft schwer abgrenzbar
- Kippdeviationen ("square wave pulses", "makro square wave jerks"): Amplitude größer 5°, kürzeres intersakkadisches Intervall
- Makrosakkadische Oszillationen: an- und abschwellende sakkadische Oszillation um ein Blickziel herum
- sakkadische Oszillationen (Opsoklonus, Ocular Flutter): kontinuierliche Sakkaden ohne intersakkadisches Intervall
Weblinks
- Befunde von Gegenrucken (Videos): Wilhelm, Square wave jerks und Jacobson, Square Wave Jerks, Neuroophthalmology Virtual Education Library, University of Utah, 2010 und 1986.
Leitlinie
- S1-Leitlinie Augenmotilitätsstörungen inklusive Nystagmus im AWMF-Register. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2021.
Quellen
- ↑ Herishanu, Sharpe, Normal square wave jerks. Investigative Ophthalmology & Visual Science, 1981.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Shallo-Hoffmann, How normal are "normal" square wave jerks? Investigative Ophthalmology & Visual Science, 1989.
- ↑ Salman et al., Square Wave Jerks in Children and Adolescents. Pediatric Neurology, 2008.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Lemos, Eggenberger, Saccadic intrusions - review and update. Current Opinion in Neurology, 2013.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 Zachou et al., Clinical utility of square-wave jerks in neurology and psychiatry. Frontiers in Ophthalmology, 2024.
- ↑ Donaghy et al., Ocular fixation instabilities in motor neurone disease - A marker of frontal lobe dysfunction? Journal of Neurology, 2009.
- ↑ Otero-Millan, Distinctive Features of Saccadic Intrusions and Microsaccades in Progressive Supranuclear Palsy. The Journal of Neuroscience, 2011.
- ↑ S1-Leitlinie Augenmotilitätsstörungen inklusive Nystagmus im AWMF-Register. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2021
- ↑ Höglinger et al., Clinical Diagnosis of Progressive Supranuclear Palsy: The Movement Disorder Society Criteria. Movement Disorders, 2017.
um diese Funktion zu nutzen.