Restless-Legs-Syndrom
Synonym: Wittmaack-Ekbom-Syndrom
Definition
Das Restless-Legs-Syndrom, kurz RLS, ist eine sensomotorische Störung unklarer Ursache, die sich durch einen imperativen Bewegungsdrang und quälende Missempfindungen äußert – vor allem in den Beinen. Die Beschwerden treten hauptsächlich in Ruhe auf und bessern sich bei Bewegung.
ICD-Code
Seit der Veröffentlichung des ICD-11 wird das RLS den schlafbezogenen Bewegungsstörungen zugerechnet und als Schlaf-Wach-Störung kategorisiert.
Epidemiologie
Die Langzeitprävalenz der Störung wird auf 5 bis 10 % der Bevölkerung in Europa und Nordamerika geschätzt, wobei diese Angabe aufgrund der fehlenden Datenlage mit einer hohen Unsicherheit behaftet ist. Von den Betroffenen sollen 10 bis 15 % eine medikamentöse Behandlung benötigen. In Asien wird die Erkrankung seltener diagnostiziert. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Störung tritt selten auch schon im Kindesalter auf. Bei Frauen liegt die Prävalenz während und nach einer Schwangerschaft bei 25 %, in 97 % der Fälle klingt die Symptomatik nach der Geburt wieder ab.
Einteilung
Man unterscheidet zwischen der idiopathischen und der sekundären bzw. symptomatischen Form des Restless-Legs-Syndroms.
Idiopathische Form
Die idiopathische Form hat eine starke genetische Komponente, die überwiegend autosomal-dominant vererbt wird. Mehr als 50 % der Patienten mit einem idiopathischen RLS haben eine positive Familienanamese. Häufig beginnt diese Form im dritten Lebensjahrzehnt und zeigt eine eher schleichende Progredienz, die interindividuell sehr unterschiedlich sein kann.
Sekundäre Form
Die sekundäre (symptomatische) Form des RLS kann durch eine Vielzahl verschiedener Faktoren ausgelöst werden oder als Komorbidität anderer Erkrankungen auftreten. Beispiele sind:
- Eisenmangelanämie
- Vitamin-B12-Mangel
- Morbus Parkinson u.a. neurologische Erkrankungen
- dialysepflichtige Niereninsuffizienz bzw. Urämie
- Diabetes mellitus
- Rheumatoide Arthritis
- Medikamente[1]
- Dopaminantagonisten: Neuroleptika (z.B. Clozapin, Haloperidol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon) und Prokinetika (Metoclopramid)
- Antidepressiva: Mirtazapin, Mianserin, Lithium
- weitere Arzneistoffe: Östrogene, Simvastatin, Flunarizin, Interferon alpha, Koffein, L-Thyroxin
- Schilddrüsendysfunktion
Schwangerschaft ist ebenfalls ein häufiger Auslöser des RLS. Die Prävalenz unter Schwangeren wird mit 10 bis 37% angegeben.[2]
Ätiopathogenese
Die genauen Ursachen des Restless-Legs-Syndroms sind unbekannt. Für die idiopathische Form des RLS konnten mehrere Risikogene identifiziert werden.
Bei der sekundären Form geht man aktuell (2022) von einem Defekt des zerebralen Dopaminhaushalts und/oder Störungen des Eisenstoffwechsels aus. Ungleichgewichte weiterer Neurotransmittersysteme (Glutamat, GABA und Adenosin) könnten ebenfalls eine Rolle spielen.
Möglicherweise liegen auch gleichzeitige Dysfunktionen im endogenen Opioidsystem vor.[3]
Störung des Eisenstoffwechsels
Ein Erklärungsansatz geht davon aus, dass beim sekundären RLS eine Störung des Eisentransports über die Blut-Hirn-Schranke vorliegt. Sie soll zu einer verminderten Eisenspeicherung im Gehirn führen. Der resultierende Eisenmangel im Gehirn ist dann ein möglicher Auslöser für eine chronische Hypoxie und neuronale Schäden.[4] Bei schweren RLS-Fällen ließ sich in MRT-Studien und Autopsien ein Eisenmangel in der Substantia nigra und im Putamen nachweisen.
Dysfunktionen im Dopaminhaushalt
Neben Veränderungen des Eisenstoffwechsels werden auch verschiedene Dysfunktionen des Dopaminhaushalts als möglicher Pathomechanismus angeführt. Es wird vermutet, dass es bei RLS-Patienten zu einer Überproduktion von Dopamin bei gleichzeitiger Downregulation und verminderter Empfindlichkeit der Dopamin-Rezeptoren kommt. Auch die Aktivität des Dopamintransporters (DAT) soll verringert sein. Da die Dopaminproduktion einen zirkadianen Rhythmus aufweist, fällt die Dopaminproduktion zur Nacht hin ab. Eine verminderte Rezeptordichte bei nachlassendem Dopaminangebot würde die Zunahme der Symptome vor dem Zubettgehen erklären. Die Dopaminhypothese wird auch durch die Beobachtung gestützt, dass die Gabe von Levodopa die Symptome des RLS kurzfristig verbessert, während Dopaminantagonisten die Symptomatik verstärken.
Symptomatik
Wie der Name vermuten lässt, äußert sich das Restless-Legs-Syndrom durch den unwiderstehlichen Drang, die Extremitäten, seltener auch andere Körperteile zu bewegen. Dabei treten in den Beinen oder Armen begleitend Parästhesien auf ("Kribbeln", "Ameisenlaufen"), gelegentlich auch Schmerzen.
Die Symptome sind in körperlicher Ruhe betonter. Vor dem Zubettgehen erreichen sie ihren Höhepunkt. Umgekehrt verringern sich die Beschwerden in Bewegungsphasen, Linderung ist auch bei Wärme- oder Kältezufuhr zu verzeichnen.
Um die Symptomlast zu reduzieren, bewegen die Patienten die betroffene Extremität durch wiederholtes Beugen und Strecken. In der Folge treten häufig Einschlafstörungen auf.
Diagnose
Die Diagnosestellung beruht primär auf der typischen klinischen Symptomatik.
L-Dopa-Test
Die probatorische Gabe von L-Dopa in Kombination mit Benserazid oder Carbidopa führt zu einer Verbesserung der Symptome. Spricht der Patient nicht auf den Therapieversuch an, ist ein RLS jedoch nicht sicher ausgeschlossen.
Polysomnographie
Die Polysomnographie dient der Abgrenzung anderer Schlafstörungen, insbesondere eines Schlafapnoe-Syndroms. Typische Befunde beim RLS sind periodische Beinbewegungen (PLM), eine verlängerte Einschlafdauer und ein fragmentiertes Schlafprofil mit häufigen Wachphasen.
Diagnosekriterien
Gemäß der NIH Consensus Konferenz (2002) gelten für das Restless-Legs-Syndrom folgende diagnostische Kriterien:
Essentielle Kriterien
- Bewegungsdrang der Beine, gewöhnlich begleitet von Parästhesien (z.B. Kribbeln, Hitzegefühle) in den Beinen.
- Der Bewegungsdrang bzw. die Parästhesien treten ausschließlich während Ruhezeiten oder bei Inaktivität auf.
- Der Bewegungsdrang bzw. die Parästhesien werden durch Bewegung (z.B. Laufen) teilweise oder vollständig gebessert - zumindest so lange, wie diese Aktivität anhält.
- Der Bewegungsdrang bzw. die Parästhesien sind abends oder nachts schlimmer als während des Tages oder treten ausschließlich am Abend oder in der Nacht auf.
Unterstützende Kriterien
- Ansprechen auf eine dopaminerge Therapie (positiver Effekt von L-Dopa)
- Nachweis von periodischen Beinbewegungen in der Polysomnographie.
- Positive Familienanamnese
Differenzialdiagnose
Abzugrenzen sind eine Periodic-Limb-Movement-Disorder (PLMD) und Störungen des extrapyramidalen Systems, u.a. Chorea Huntington, Polyneuropathien, funikuläre Myelose, Radikulopathien oder eine arterielle Verschlusskrankheit (pAVK).
Ähnliche Symptome finden sich auch bei der Akathisie, die durch Neuroleptika verursacht wird und u.U. mit Betablockern behandelt werden kann - was beim RLS kontraindiziert wäre.
Therapie
Basismaßmahmen
Die Basistherapie des sekundären RLS zielt zunächst auf die auslösenden Faktoren. Ihre Beseitigung kann in vielen Fällen zu einer Heilung führen. Dazu zählt in erster Linie die Therapie von Grunderkrankungen und - wenn therapeutisch möglich - das Absetzen potentiell ursächlicher Medikamente. Auch der Genussmittelkonsum (Koffein) in den Abendstunden sollte reduziert werden.
Besteht ein Eisenmangel, kann er durch Eisensubstitution behoben werden. Nicht-medikamentöse Maßnahmen (z.B. Bewegungstherapie, Massagen, Ernährungsumstellung) setzt man flankierend ein.
Medikamentöse Therapie
Bei größerem Leidensdruck kann eine symptomatische medikamentöse Therapie mit L-Dopa in Kombination mit Decarboxylasehemmern oder die Gabe von Dopaminagonisten sinnvoll sein.
Die Therapie mit L-Dopa ist in vielen Fällen symptomlindernd. Sie ist jedoch mit Nebenwirkungen behaftet und kann im ungünstigen Fall zu einer Augmentation der Beschwerden führen. Dann kommt es zu einer Ausbreitung und/oder zu einem früheren Beginn der Krankheitssymptome im Tagesverlauf.
Dopaminagonisten wie Pramipexol, Ropinirol oder Rotigotin können als nächste Therapiestufe bei mittel- bis schwergradigem RLS gegeben werden. Das Risiko einer Augmentation wird bei diesen Wirkstoffen als geringer angegeben als unter L-Dopa.
Bei unzureichendem Ansprechen auf Dopaminagonisten kommt der Off-label-Use von anderen Arzneistoffen in Frage. Mögliche Optionen sind:
- Opioide, z.B. Oxycodon/Naloxon
- Antikonvulsiva, z.B. Gabapentin oder Pregabalin
- Benzodiazepine
Das Abhängigkeitspotential von Opioiden und Benzodiazepinen muss bei der Therapieentscheidung und -planung berücksichtigt werden.
Literatur
- Vlasie et al. Restless legs syndrome: An overview of pathophysiology, comorbidities and therapeutic approaches Exp Ther Med 2022
- Melinda Bence, Eva Kereszturi, Viktor Mozes, Maria Sasvari-Szekely, Gergely Keszler: Hypoxia-induced transcription of dopamine D3 and D4 receptors in human neuroblastoma and astrocytoma cells. In: BMC neuroscience. Band 10, 4. August 2009, ISSN 1471-2202, S. 92, doi:10.1186/1471-2202-10-92, PMID 19653907, PMC 3224682 (freier Volltext) – (nih.gov [abgerufen am 30. März 2022])
- Sergi Ferré, César Quiroz, Xavier Guitart, William Rea, Arta Seyedian: Pivotal Role of Adenosine Neurotransmission in Restless Legs Syndrome. In: Frontiers in Neuroscience. Band 11, 2017, ISSN 1662-4548, S. 722, doi:10.3389/fnins.2017.00722
- Giuseppe Lanza, Raffale Ferri: The neurophysiology of hyperarousal in restless legs syndrome: Hints for a role of glutamate/GABA. In: Advances in Pharmacology (San Diego, Calif.). Band 84, 2019, ISSN 1557-8925, S. 101–119, doi:10.1016/bs.apha.2018.12.002
Quellen
- ↑ Restless Legs Syndrom: Kribbeln in den Beinen. Pharmazeutische Zeitung 17.10.2017, abgerufen am 31.4.2022
- ↑ Gupta R et al.: Restless legs syndrome and pregnancy: prevalence, possible pathophysiological mechanisms and treatment. Acta Neurol Scand. 2016 May;133(5):320-9. doi: 10.1111/ane.12520. Epub 2015 Oct PMID: 26482928 PMCID: PMC5562408 DOI: 10.1111/ane.12520
- ↑ Gärtner J et al.: Improvement of Restless Legs Syndrome Under Treatment of Cancer Pain With Morphine and Fentanyl. Front. Neurol., 08 May 2019 | https://doi.org/10.3389/fneur.2019.00457
- ↑ Guo S. et al.: Restless Legs Syndrome: From Pathophysiology to Clinical Diagnosis and Management Front Aging Neurosci. 2017; 9: 171. Published online 2017 Jun 2. doi: 10.3389/fnagi.2017.00171 PMCID: PMC5454050 PMID: 28626420