Progesteron
Synonym: Corpus-luteum-Hormon
Englisch: progesterone
Definition
Progesteron ist ein weibliches Geschlechtshormon, das vom Corpus luteum (Gelbkörper) in der zweiten Hälfte des Menstruationszyklus und, in wesentlich höheren Mengen, während der Schwangerschaft von der Plazenta gebildet wird. Geringe Progesteronmengen werden bei Frauen und Männern auch von der Nebennierenrinde synthetisiert.
Chemie
Progesteron hat die Summenformel C21H30O2 und eine molare Masse von 314,47 g/mol.
Bei Raumtemperatur ist Progesteron ist ein kristalliner Feststoff. Die Substanz tritt in drei polymorphen Kristallformen auf. Sie unterscheiden sich anhand ihres Schmelzpunktes. Die thermodynamisch stabile α-Form schmilzt bei 129 °C.
Biochemie
Progesteron ist als Steroidhormon ein Derivat des Cholesterins, aus dem es auch im menschlichen Organismus synthetisiert wird. Cholesterin wird zunächst mithilfe der Cholesterin-Monooxygenase (P450scc) durch doppelte Oxidation zu 22β-Hydroxycholesterol und dann zu 20α,22β-Dihydroxycholesterol umgesetzt. Unter Verlust der Seitenkette am C22-Atom entsteht daraus Pregnenolon.
Die Umwandlung von Pregnenolon zu Progesteron verläuft in 2 Reaktionsschritten:
- Die 3β-Hydroxylgruppe wird zu einer Ketogruppe oxidiert.
- Die Doppelbindung wird durch Keto-Enol-Tautomerisierung von C5 nach C4 verlegt
Diese Reaktion wird durch die 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (3β-HSD) katalysiert.
Progesteron ist seinerseits Vorläufer des Mineralkortikoids Aldosteron und kann über die Zwischenstufe Androstendion in Testosteron und Estradiol umgewandelt werden.
Wie andere Steroidhormone ist Progesteron lipophil und kann dadurch die Zellmembran permeieren. Seine Wirkung in den Zielzellen wird dann über die Bindung an intrazelluläre Progesteronrezeptoren vermittelt.
Progesteron wird zu Pregnandiol metabolisiert und nach Glucuronidierung in der Leber über den Urin eliminiert. Am Abbau sind u.a. CYP2C19, CYP3A4 und CYP2C9 beteiligt.
Physiologie
Progesteron wird vor allem im Corpus luteum des Ovars und in der Plazenta synthetisiert und ausgeschüttet, in geringeren Mengen auch von anderen Geweben. Im Gelbkörper findet die Synthese vor allem in den Granulosaluteinzellen statt. Bei der Frau sezernieren die Ovarien in der Lutealphase etwa 25 mg Progesteron pro Tag, die Zellen der Nebennierenrinde rund 2 mg pro Tag.[1]
Die Ausschüttung des Hormons wird durch LH stimuliert. Die Freisetzung bewirkt eine für die Nidation benötigte Modifikation des proliferierten Endometriums, besonders der Lamina functionalis in die drüsenreiche und stark durchblutete Decidua sowie eine Anpassung der Uterusmuskulatur an den wachsenden Embryo. Dieser Vorgang wird auch als Dezidualisierung bezeichnet.
Progesteron hat einen sogenannten thermogenetischen Effekt. Erhöhte Konzentrationen des Hormons führen zur einer Erhöhung der Basaltemperatur um 0,2 bis 0,5°C. Obwohl dieser Effekt schon lange bekannt ist, ist sein genauer physiologischer Mechanismus weitgehend unerforscht, wird aber zur natürlichen Empfängnisverhütung eingesetzt.
In manchen steroidproduzierenden Zellen der Gonaden fungiert das Progesteron als Ausgangsstoff für die Synthese von Androgenen (männliche Geschlechtshormone) und Östrogenen (weibliche Geschlechtshormone).
Pathophysiologie
Erhöhte Progesteronwerte ergeben sich neben der Schwangerschaft vor allem bei Eierstocktumoren und beim adrenogenitalen Syndrom (AGS). Bei Zyklusstörungen und beim sog. Hypogonadismus, einer Unterentwicklung der Eierstöcke, ist die Progesteronkonzentration erniedrigt.
Pharmakologie
Synthetisch hergestelltes Progesteron wird pharmakologisch bei Zyklusstörungen, hormonbedingten Brustschmerzen und Wechseljahrbeschwerden sowie im Rahmen der In-vitro-Fertilisation und zur hormonellen Kontrazeption eingesetzt. Ferner gibt man es bei subchorialen Blutungen in der Schwangerschaft. Es kann oral, topisch, vaginal, subkutan und intramuskulär angewendet werden.
Labordiagnostik
Der Progesteronspiegel im Serum wird häufig im Rahmen der Fertilitätsdiagnostik gemessen. Darüber hinaus ist die Bestimmung u.a. bei Zyklusstörungen, Beurteilung der Gelbkörperfunktion, Hypogonadismus, adrenogenitalem Syndrom und der Diagnostik von Ovarialkarzinomen indiziert. In der Frühschwangerschaft wird die Bestimmung wegen der erheblichen Schwankungsbreiten und der fehlenden Validierung zurzeit (2021) nicht empfohlen.
Material
Für die Untersuchung wird 1 ml Blutserum oder Blutplasma benötigt.[2]
Referenzbereich
Klientel | Phase | Norm |
---|---|---|
Frauen | Follikelphase | < 0,1 ng/ml |
Ovulation | 1 bis 2 ng/ml | |
Frühe Lutealphase | > 5 ng/ml | |
Mittlere Lutealphase | > 12 ng/ml | |
Postmenopausal | < 1 ng/ml | |
Präpubertär | 0 bis 2 ng/ml | |
Frauen in der Schwangerschaft | 1. Trimester | 10 bis 50 ng/ml |
2. Trimester | 20 bis 130 ng/ml | |
3. Trimester | 130 bis 423 ng/ml | |
Männer | 0,3 bis 1,2 ng/ml |
Die Referenzbereiche variieren labor- und methodenspezifisch und sollten dem jeweiligen Befundausdruck entnommen werden.
Interpretation
Erhöhtes Progesteron
Eine Erhöhung der Progesteronkonzentration kann durch folgende Ursachen ausgelöst sein:
- Schwangerschaft
- Corpus-luteum-Persistenz
- Ovarialtumoren
- Blasenmole
- ovarielle Hyperstimulation
- angeborene oder erworbene Form des adrenogenitalen Syndroms
Normalhohe Progesteronkonzentrationen in der zweiten Zyklushälfte weisen auf eine stattgefundene Ovulation hin
Erniedrigtes Progesteron
Eine Erniedrigung der Progesteronkonzentration kann durch folgende Ursachen ausgelöst sein:
Hinweise
Eine umfassende Beurteilung des Progesteronspiegels ist nur im Kontext mit dem übrigen Hormonstatus möglich.
Zur Abklärung der Gelbkörperfunktion ist die wiederholte Bestimmung des Progesterons in der zweiten Zyklusphase sinnvoll. Progesteron wird in Abhängigkeit von der episodischen LH-Sekretion intermittierend aus dem Corpus luteum freigesetzt. Dadurch ergeben sich beträchtliche Serumschwankungen für Progesteron besonders in der mittleren Lutealphase.