Os temporale (Veterinärmedizin)
Synonym: Schläfenbein
Definition
Das Os temporale oder Schläfenbein bildet einen großen Teil der ventrolateralen Wand des Hirnschädels (Neurokranium) beim Haussäugetier.
Anatomie
Das Os temporale ist für die Bildung des unteren Abschnitts der Seitenwand des Schädels verantwortlich und greift auch auf dessen Basalfläche über. Seine vier Anteile sind:
- die Schläfenbeinschuppe (Pars squamosa),
- der Felsenbein (Pars petrosa) mit
- dem Warzenfortsatz (Processus mastoideus) und
- der Paukenteil (Pars tympanica).
Beim Neugeborenen sind diese Knochenstücke größtenteilts voneinander getrennt, verschmelzen später jedoch miteinander. Das Os temporale ist ein komplex aufgebauter Knochen. Die Pars petrosa und Pars tympanica beherbergen das Innen- und Mittelohr, der Paukenteil ist über die Ohrtrompete (Tuba auditiva) mit dem Nasenrachen (Pars nasalis pharyngis) verbunden.
Sowohl Pars petrosa als auch Pars tympanica sind an der Schädelbasis der Pars basilaris des Os occipitale (Hinterhauptbein) mehr oder weniger eng benachbart. Beim Fleischfresser sind beide Knochen in der Sutura occipitotympanica miteinander knöchern verbunden. Bei den übrigen Haussäugetieren findet man an dieser Stelle einen Spalt (Fissura petrooccipitalis), der beim Pferd breit, beim Schwein und insbesondere beim Wiederkäuer schmal ausgeprägt ist.
Pars squamosa
Die Pars squamosa des Os temporale beteiligt sich mit ihrem schalenförmigen basalen Abschnitt an der Bildung der Schädelhöhlenwand. Sie ist durch Schuppennähte (Suturen) mit den sie umgebenden Knochen verbunden, weshalb sie an ihrer Innenfläche kleiner erscheint als an der Außenfläche. Beim Rind wird die Schläfenbeinschuppe aufgrund der benachbarten Knochen fast eingedeckt.
An der ausgehöhlten Schädelhöhlenfläche (Facies cerebralis) sind zahlreiche Sulci arteriosi et venosi sowie Vertiefungen (Impressiones digitatae) und Erhabungen (Juga cerebralia) erkennbar. Beim kleinen Wiederkäuer und Schwein ist nahe der Pars petrosa die Crista tentorica ausgebildet.
Die konvex gewölbte Außenfläche (Facies temporalis) entlässt nach lateral und rostral den Jochfortsatz (Processus zygomaticus). Dieser bildet mit dem Schläfenfortsatz des Jochbeins (Os zygomaticum) den Jochbogen (Arcus zygomaticus). An der Unterfläche der Wurzel des Jochfortsatzes ist die Gelenkfläche für das Kiefergelenk ausgebildet.
Hinter dem Ursprungsabschnitt des Jochfortsatzes entlässt die Pars squamosa den Processus occipitalis nach kaudal zwischen das Os parietale und den kaudalen Anteil des Felsenbeins. Gleichzeitig entsendet sie einen (außer bei der Katze) nach unten vorspringenden Processus retrotympanicus. Dieser umfasst den äußeren Gehörgang (Meatus acusticus externus) kaudal und ist so an der Bildung der Incisura otica beteiligt.
Die Crista supramastoidea der Schläfenbeinschuppe stellt die rostrale Fortsetzung der Crista bzw. Linea nuchae dar. Diese zieht an der Außenfläche des Processus occipitalis zum oberen Rand des Jochfortsatzes. Der Processus occpitialis bildet - zusammen mit dem Scheitelbein - den bei den Haussäugetieren recht unterschiedlich ausgeprägten Schläfengang (Meatus temporalis). Dieser nimmt eine Vene des dorsalen Blutleitersystems des Gehirns auf.
Beim Schwein ist zwischen dem Meatus acusticus externus und dem Os occipitale der Processus nuchalis ausgebildet. Dieser reicht bis auf die Wurzel des Processus paracondylaris und steht so in Verbindung mit dem Zungenbein.
Pars petrosa
Die Pars petrosa bildet den kaudoventralen Anteil des Os temporale. Beim Fleischfresser und Rind vereinigt sie sich frühzeitig mit der Pars squamosa. Beim kleinen Wiederkäuer, Pferd und Schwein hingegen bleiben diese Knochen stets getrennt.
Die Pars petrosa beherbergt das Innenohr mitsamt seiner Schnecke und deem Vorhofapparat. Die Innenfläche ist der Schädelhöhle zugewandt und wird als Facies medialis bezeichnet. Der Porus acusticus internus führt in den inneren Gehörgang (Meatus acusticus internus) mit seinem Fundus meatus acustici interni. Die sich vom Fundus erhebende Knochengräte (Crista transversa) ist von vier Öffnungen umgeben: rostral und oben von der Area nervi facialis, rostral und unten von der Area cochleae, sowie kaudal von der Area vestibularis superior und Area vestibularis inferior.
Am oberen Rand der Facies medialis erhebt sich beim Fleischfresser und Pferd die nach kaudal schräg aufsteigende Crista partis petrosae. Diese Knochenleiste fehlt den kleinen Wiederkäuern und dem Schwein und ist beim Rind nur schwach angedeutet. Zusammen mit dem knöchernen Hirnzelt (Tentorium cerebelli osseum) bildet sie den Grenzbereich zwischen der großen und kleinen Abteilung der Schädelhöhle. Beim kleinen Wiederkäuer und Schwein wird diese Grenze durch die Crista tentorica der Pars squamosa gebildet.
Die Ventralfläche (Facies ventralis) bildet im unteren Abschnitt die mediale Wand der in der Pars tympanica gelegenen Paukenhöhle (Cavum tympani) des Mittelohrs (mit dem Promontorium, der Fenestra vestibuli und der Fenestra cochleae).
Im oberen Abschnitt erreicht der kaudale Anteil der Pars petrosa, der Warzenteil (Pars mastoidea), die Schädeloberfläche (fehlt dem Schwein). Aus ihm geht der nach ventral gerichtete Warzenfortsatz (Processus mastoideus) hervor. Der Processus mastoideus ist beim Fleischfresser als kleine Warze hinter dem Porus acusticus externus erkennbar. Beim kleinen Wiederkäuer ist er nur als Rauhigkeit ausgebildet, wohingegen der Processus mastoideus beim Rind als platte Leiste in Erscheinung tritt. Beim Pferd ist er als fingerdicke Knolle hinter dem Processus retrotympanicus angebracht.
Der zylindrisch geformte Griffelfortsatz (Processus styloideus) dient als Ansatzstelle des Zungenbeins. Beim Pferd und Wiederkäuer ragt dieser unterhalb des äußeren Gehörgangs nach rostroventral. Beim Fleischfresser und Schwein ist kein Processus styloideus ausgebildet, weshalb sich hier das Zungenbein mit dem Processus mastoideus (Fleischfresser) bzw. mit dem Processus nuchalis (Schwein) verbindet. Zwischen Pars tympanica und Processus mastoideus (Fleischfresser) bzw. zwischen Processus styloideus und Processus mastoideus (Pferd und Wiederkäuer) liegt das Foramen stylomastoideum (Öffnung des Canalis facialis). Beim Schwein befindet sich diese Öffnung zwischen der Pars tympanica und dem Processus retrotympanicus.
Pars tympanica
Die Pars tympanica ist der rostroventrale Anteil an der Basis des Os temporale. Die bei den Haussäugetieren besonders mächtig ausgebildete Paukenblase (Bulla tympanica) enthält die zum Mittelohr gehörende Paukenhöhle (Cavum tympani). Aus dem oberen Abschnitt der Paukenblase geht der nach lateral gerichtete knöcherne äußere Gehörgang hervor, der mit dem Porus acusticus externus endet.
Beim Pferd sowie Wiederkäuer umgibt eine nach kaudal offene scheidenartige Leiste (Vagina processus styloidei) den Processus styloideus der Pars petrosa. Gleichzeitig geht ein Processus muscularis aus der mediorostralen Paukenblasenwand nach rostroventral hervor. Dieser hat beim Schwein und v.a. beim Fleischfresser die Form einer sehr kurzen und unscheinbaren Gräte. Beim kleinen Wiederkäuer und Pferd hingegen ähnelt er einem langen Griffel. Beim Rind ist die Basis des Processus muscularis deutlich verbreitert.
Zwischen dem Processus muscularis und dem äußeren Gehörgang öffnet sich die aus der Paukenhöhle stammende Fissura petrotympanica. Durch diese Öffnung tritt die Chorda tympani (Paukensaite) des Nervus facialis an die Oberfläche. Medial des Processus muscularis befindet sich die rinnenförmige und knöcherne Hörtrompete (Pars ossea tubae auditivae), welche die Verbindung der Paukenhöhle mit dem Nasenrachen darstellt. Die paukenhöhlenseitige Öffnung der Hörtrompete wird durch das Ostium tympanicum tubae auditivae markiert.
An der Paukenhöhle beschreibt man einen Zentralraum (Mesotympanicum), an dessen Lateralwand (im Ursprungsbereich des äußeren Gehörgangs) der Paukenring (Anulus tympanicus) ausgebildet ist. In diesen Ring ist das Trommelfell eingespannt. Außerdem kann an der Paukenhöhle noch die Dorsalbucht (Recessus epitympanicus) unterschieden werden, welche die Gehörknöchelchen (Ossicula auditiva) beherbergt. Der unten gelegene Paukenblasenraum (Bulla tympanica) ist (mit Ausnahme beim Hund) in Cellulae tympanicae gekammert.
Literatur
- Nickel, Richard, August Schummer, Eugen Seiferle. Band I: Bewegungsapparat. Lehrbuch der Anatomie der Haustiere. Parey, 2004
- Salomon, Franz-Viktor, Hans Geyer, Uwe Gille. Anatomie für die Tiermedizin. Georg Thieme Verlag, 2015.
- König, Horst Erich, and Hans-Georg Liebich. Anatomie der Haussäugetiere: Lehrbuch und Farbatlas für Studium und Praxis. Schattauer Verlag, 2014.
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