Niedrigflussnarkose
Synonyme: low-flow Anästhesie, minimal-flow Anästhesie, Niedrigflussanästhesie
Englisch: low-flow anaesthesia, low-flow anaesthesia
Definition
Als Niedrigflussnarkose werden Allgemeinanästhesien bezeichnet, bei denen der Frischgasfluss deutlich geringer ist als das Atemminutenvolumen des Patienten und der Rückatemanteil mindestens 50 % beträgt. Die Durchführung erfordert ein dichtes Rückatmungssystem (sog. halbgeschlossenes oder geschlossenes Narkosesystem).
Terminologie
Der Begriff Niedrigflussnarkose bezeichnet kein eigenständiges Narkoseverfahren, sondern beschreibt lediglich die optimale Nutzung eines Narkosesystems. Unterschieden wird zwischen low-flow und minimal-flow Anästhesien. Die Begriffe sind in der Literatur nicht einheitlich definiert. Der überwiegende Anteil der Autoren verwendet folgende Einteilung:
- low-flow Anästhesie: Frischgasfluss ≤ 1 l/min
- minimal-flow Anästhesie: Frischgasfluss ≤ 0,5 l/min
- metabolic-flow Anästhesie: Frischgasfluss = verbrauchtes Volumen an Sauerstoff und Narkosegas
Hintergrund
Bei der Verwendung eines halbgeschlossenen Narkosesystems wird ein Teil des ausgeatmeten Volumens von CO2 befreit (Atemkalk) und steht für die nächste Inspiration zur Verfügung (sog. Rückatemanteil). Somit muss nicht das gesamte Atemminutenvolumen durch neues Frischgas bereitgestellt werden.
Je niedriger der Frischgasfluss ist, desto größer wird der Rückatemanteil. Dabei verringert sich auch der Verbrauch von Sauerstoff und Inhalationsanästhetika, da diese so größtenteils unverändert im Narkosesystem zirkulieren und „recycelt“ werden können. Das Prinzip der Niedrigflussnarkose wird daher primär beim Einsatz von Inhalationsanästhetika verwendet.
Anwendung
Die Anwendung erfordert ein (halb-)geschlossenes Narkosesystem (Rückatmungssystem). Es darf keine größeren Leckagen geben (z.B. ungeblockter Tubus, undichte Larynxmaske, undichte Schläuche am Narkosegerät). Das Narkosegerät muss über eine kontinuierliche Gasmessung verfügen (z.B. FiO₂, etCO₂, inspiratorische und endtidale Anästhesiegaskonzentration) und für die Anwendung einer Niedrigflussnarkose zugelassen sein.
Bei der Durchführung werden verschiedene Phasen unterschieden:
- Initialphase (während und unmittelbar nach der Narkoseeinleitung)
- low- oder minimal-flow Phase (während der Narkoseaufrechterhaltung)
- Ausleitungsphase (Narkoseausleitung)
Während der Initial- und Ausleitungsphase wird kein reduzierter Frischgasfluss verwendet, um ein ausreichendes „Ein“- bzw. „Auswaschen“ des Inhalationsanästhetikums sicherzustellen.
Aus Sicherheitsgründen sollte der eingestellte Sauerstoffanteil des eingestellten Frischgasgemisches bei low-flow Anästhesien mindestens 50 % und bei minimal-flow Anästhesien mindestens 60 % betragen.
Vorteile
Durch den geringeren Frischgasverbrauch ergeben sich zahlreiche Vorteile bei der Anwendung von Niedrigflussnarkosen, insbesondere während des Einsatzes von Inhalationsanästhetika. Fachgesellschaften wie die DGAI und internationale Initiativen fordern daher verstärkt die Integration solcher Verfahren in den Klinikalltag.
Ökologische Aspekte
Inhalationsanästhetika tragen in erheblichem Maße zur Emission klimawirksamer Gase bei. Besonders Desfluran weist ein Global Warming Potential (GWP) von etwa 2.540 auf. Die klimaschädlichen Effekte des Desflurans über einen Zeitraum von 100 Jahren sind somit ca. 2.540 mal stärker als die derselben Menge CO₂. Durch die Anwendung von Niedrigflussnarkosen kann der Verbrauch von Inhalationsanästhetika um bis zu 75 % reduziert werden.
Ökonomische Aspekte
Die Reduktion des Frischgasflusses führt zu einer messbaren Senkung der Medikamentenkosten. Untersuchungen zeigen, dass durch Umstellung auf Niedrigflussnarkosen in einem regulären OP-Betrieb jährliche Einsparungen im vier- bis fünfstelligen Bereich möglich sind.
Physiologische Aspekte
Weitere potenzielle Vorteile für den Patienten sind der Erhalt von Atemgasfeuchtigkeit und -temperatur sowie ein konstanteres Anästhesieniveau. Der geringere Gasfluss reduziert zudem Geräuschpegel und Verdunstung.
Nachteile
Potenzielle Risiken bestehen vor allem bei unzureichender FiO₂-Zufuhr (Gefahr der Hypoxie) oder verzögertem Ansprechverhalten auf veränderte Bedürfnisse (inadäquate Narkosetiefe). Niedrigflussnarkosen sind nicht zur raschen Narkosevertiefung oder -ausleitung geeignet. Zudem ist die Belastung und der Verbrauch des Atemkalks umso höher, je niedriger der Frischgasfluss ist. Mit adäquatem Monitoring gelten Niedrigflussnarkosen aber als sicher.
Literatur
- Baum JA, Aitkenhead AR, Odam J. Low Flow, Minimal Flow and Closed System Anaesthesia. Springer; 2001.
- DGAI: Positionspapier „Klimaverantwortung in der Anästhesie“. 2023
- Sulbaek Andersen MP et al. Impact of anesthetic gases on the environment. Br J Anaesth. 2010
- Meyer M et al. Ökologisches Narkosemanagement – ein aktuelles Thema. Anästhesiol Intensivmed. 2022
- Campbell M et al. Economic and environmental analysis of volatile agent consumption. Anaesthesia. 2018
- Rosenberg JH et al. Green Anaesthesia: A narrative review. Lancet Planet Health. 2022;6(8):e656–e664.