Grayanotoxinvergiftung
Synonym: Grayanotoxinintoxikation
Englisch: grayanotoxin intoxication, grayanotoxin poisoning
Definition
Eine Grayanotoxinvergiftung ist eine akute oder chronische Vergiftung, die durch Pflanzengifte aus der Gruppe der Grayanotoxine ausgelöst wird. Die Aufnahme in den menschlichen Organismus findet dabei typischerweise über belasteten Honig statt.
Geschichte
Xenophon (430 bis 354 v. Chr.) und andere antike Schriftsteller berichteten wiederholt über Vergiftungen durch den "Pontischen Honig" aus Rhododendron luteum und Rhododendron ponticum. König Mithridates (135 bis 63 v. Chr.) soll gegen die römischen Invasoren unter Pompeuis (106 bis 48 v. Chr.) "Gifthonig" als Waffe eingesetzt haben, nach dessen Verzehr die Soldaten durch die gastrointestinalen und zentralnervösen Vergiftungserscheinungen kampfunfähig wurden.[1]
Ätiologie
Grayanotoxine können über Pollen und den Nektar Grayanotoxin-bildender Pflanzen in Honig gelangen. Vergiftungen treten gelegentlich nach Verzehr von in Vorderasien gewonnenem Honig (besonders aus der türkischen Schwarzmeerregion) auf. Auch Honig aus den Gebirgsregionen Spaniens und Portugals kann belastet sein. In den USA kommt es inzidentell an der nördlichen Pazifikküste zu Vergiftungsfällen durch Honig. Die englischen Bezeichnungen „mad honey“ (Tollhonig) oder „bitter honey“ (aufgrund des bitteren, scharfen Geschmacks) weisen auf die Vergiftungsgefahr hin.[2]
Toxikologie
Betroffene Organsysteme
Von einer Schädigung durch Grayanotoxine können u.a. folgende Organsysteme betroffen sein:
siehe auch: Grayanotoxin
Toxizität
Aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung des Honigs variiert die Angabe der Grayanotoxin-haltigen Honigmenge, die zu Vergiftungserscheinungen führt. Diese wird mit zwischen 5 und 180 Gramm angegeben.[2] Kleinkinder sind bereits durch das Aussaugen von Blüten oder die Ingestion von Pflanzenteilen Grayanotoxin-bildender Pflanzen gefährdet.
Toxikokinetik
Nach Verzehr der kontaminierten Produkte treten innerhalb von Minuten und bis zu 5 Stunden Symptome auf und halten 24 Stunden und länger an.[2]
Symptome
Werden Grayanotoxine oral durch den Verzehr von Pflanzenteilen oder kontaminierten Produkten aufgenommen, können folgende Symptome auftreten:[2]
- Sinusbradykardie
- langanhaltende Hypotonie
- Übelkeit
- Erbrechen
- Salivation
- Schweißausbruch
- Diarrhö
- Schwindel
- Muskelschwäche
- Krampfanfälle
- Koma
Die Symptome prägen sich unter antihypertensiver Medikation oder bei kardiovaskulärer Vorschädigung stärker aus. In Extremfällen kann es zur Atemlähmung und zum Herzstillstand kommen.
Diagnostik
Anamnestisch kann in der Regel der Verzehr Grayanotoxin-haltiger Produkte oder der Kontakt mit Grayanotoxin-bildendenden Pflanzen ermittelt werden.
Bei Vergiftungsverdacht erfolgt die klinische und apparative Untersuchung der Vitalfunktionen.
Ein Nachweis von Grayanotoxinen ist nur durch eine toxikologische Spezialanalytik möglich.
Therapie
In der Regel sind Maßnahmen zur primären Giftentfernung nicht indiziert. Im Vordergrund steht die Überwachung durch ein nicht-invasives Monitoring und die symptomatische Stabilisierung der Vitalfunktionen, insbesondere des Herz-Kreislauf-Systems. Bei ausgeprägter Bradykardie kann Atropin angewendet werden. Ein spezifisches Antidot steht nicht zur Verfügung.
Prognose
Üblicherweise verlaufen Vergiftungen durch Grayanotoxin-haltige Produkte oder Pflanzenteile Grayanotoxin-bildender Pflanzen leicht bis mittelschwer. Auch schwere Vergiftungen mit vital bedrohlichen Symptomen werden bei adäquater Behandlung folgenlos überlebt.[2]