Fatigue bei Tumorpatienten
Synonym: Tumor-Fatigue
Englisch: Cancer-related fatigue, fatigue of tumor patients
Definition
Die Fatigue bei Tumorpatienten, häufig auch Tumor-Fatigue genannt, ist eine häufige Begleiterscheinung der Tumorkrankheit, die durch gesteigerte Erschöpfung und Müdigkeit gekennzeichnet ist.
Die Fatigue ist bei Tumor-Patienten meist stärker ausgeprägt als die Fatigue bei Gesunden.
Epidemiologie
Die Fatigue tritt bei etwa 78-96% aller Tumor-Patienten auf und ist für den Patienten stark belastend. Nur der Schmerz wird als noch unangenehmer empfunden. Von Ärzten wird die Fatigue hingegen häufig unterschätzt. In der Nachsorge sind noch bis zu 50% der Tumor-Patienten von einer Fatigue betroffen. Meistens sistiert die Fatigue nach der Krebsbehandlung von selbst, es gibt aber auch Patienten, bei denen sie viele Jahre andauert.
Pathophysiologie
Die genauen Mechanismen für die Entstehung der Fatigue bei Tumorpatienten sind nicht bekannt, jedoch ist von einem multikausalen Geschehen auszugehen. Auslösend ist wahrscheinlich die chronische Belastung des Organismus durch die Tumorerkrankung. Dazu zählen Faktoren wie die direkten Tumorsymptome, die B-Symptomatik, gehäufte Infekte, Tumoranämie, Mangelernährung, Kachexie, Bewegungsmangel, und die Verminderung der Skelettmuskelmasse. Eine zusätzliche Belastung entsteht durch therapeutische Eingriffe wie Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie und Medikamente (Sedativa, Analgetika).
Als weitere Erklärungsmodelle werden u.a. diskutiert:
- Dysfunktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse
- Störungen der zirkadianen Rhythmik
- Zytokindysregulation
- genetische Veränderungen
Symptomatik
Die Tumor-Fatigue äußert sich durch Müdigkeit, Schwäche und Energiemangel, die im zeitlichen und/oder ursächlichen Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung und/oder ihrer Therapie auftritt. Sie kann sich auf physischer und psychischer Ebene zeigen, z.B. in Form von schneller Erschöpfbarkeit, Antriebsmangel oder Konzentrationsstörungen. Die Tumor-Fatigue unterscheidet sich von normaler Müdigkeit unter anderem dadurch, dass die Regenerationsfähigkeit durch Schlafen sehr eingeschränkt sein.
Folgen
Wenn die Fatigue stärker ausgeprägt ist und länger anhält, kann der Alltag (einschließlich der Berufstätigkeit) nicht mehr wie gewohnt bewältigt werden. Eventuell müssen bisherige Lebensziele überdacht und der neuen Situation angepasst werden. Da die betroffenen Patienten in der Regel etwas leisten wollen, aber durch die Fatigue daran gehindert werden ("Ich will, aber ich kann nicht"), ist ihre Lebensqualität und auch die ihrer Angehörigen eingeschränkt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Betroffenen in ihrem sozialen Umfeld häufig auf Unverständnis stoßen, und zwar insbesondere dann, wenn sie von ihrem Krebs als geheilt gelten. Auch die Bereitschaft zur Mitarbeit an den therapeutischen Maßnahmen (Compliance) kann durch eine Tumor-Fatigue sinken.
Diagnostik
Da die Tumor-Fatigue ein subjektives Empfinden ist, ist das wichtigste diagnostische Instrument die Anamnese. Dazu steht z.B. ein Anamneseleitfaden der Deutschen Fatigue Gesellschaft (Köln) zur Verfügung. Ergänzend können Fragebogen verwendet werden, die speziell zur Erfassung der Tumor-Fatigue konzipiert wurden. Labor- und körperliche Untersuchungen dienen der Ausschlussdiagnostik und sind vor allem dann sinnvoll, wenn sich aus der Anamnese Hinweise auf konkrete gesundheitliche Probleme ergeben haben, die zur Erschöpfung mit beitragen.
Differentialdiagnose
Müdigkeit und Erschöpfung kommen nicht nur bei Krebs vor, sondern auch bei anderen gesundheitlichen Problemen. Wenn ein Krebspatient müde ist, bedeutet das deshalb nicht zwangsläufig, dass die Beschwerden immer etwas mit der Krebserkrankung oder deren Behandlung zu tun haben. Daher sollte eine gründliche (Differentialdiagnostik erfolgen mit dem Ziel, möglicherweise auch außerhalb der Krebserkrankung liegende Ursachen und Einflussfaktoren zu identifizieren.
Müdigkeit und Erschöpfung kommen außer bei einer Tumorerkrankung und deren Behandlung auch bei Depressionen, chronischen Infektionen, Anämien, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Lunge, der Leber oder der Nieren. Auch Schlafstörungen, Schmerzen, Medikamente, starke seelische Belastungen und mangelnde Bewegung können zur Erschöpfung beitragen.
Therapie
Zur Therapie gehört
- die Aufklärung der Patienten über die Tumor-Fatigue, um Ängste und Sorgen abzubauen
- nach Möglichkeit die kausale Therapie von zur Fatigue beitragender Komorbiditäten und Einflussfaktoren
- die symptomatische Therapie der Beschwerden. Dazu stehen nicht-medikamentöse Methoden (z.B. Sport, Aktivitätsmanagement, Psychotherapie) und medikamentöse Methoden (z.B. Methylphenidat, Phytotherapeutika) zur Verfügung.
Die Therapie sollte individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, die Entscheidung für oder gegen einen Therapie gemeinsam mit dem Patienten zu treffen (partizipative Entscheidungsfindung). Idealerweise werden mehrere Methoden miteinander kombiniert, sofern im Einzelfall nichts dagegen spricht.
Die therapeutische Versorgung erfolgt durch Ärzte und Psychoonkologen sowie in Tumor-Fatigue-Sprechstunden. Unterstützung leistet die Deutsche Fatigue Gesellschaft e.V..