Fallkonzeption (Psychotherapie)
Synonyme: Fallformulierung, therapeutische Fallkonzeption, Fallkonzeptualisierung
Englisch: case formulation, case conceptualization
Definition
Die Fallkonzeption bezeichnet in der Psychotherapie eine strukturierte, theoriegeleitete Darstellung der Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderungsmöglichkeiten psychischer Störungen bei einem individuellen Patienten. Sie dient der diagnostischen Einordnung, Therapieplanung und Verlaufsbewertung und stellt ein zentrales Instrument im psychotherapeutischen Handeln dar.
Hintergrund
Fallkonzeptionen sind hypothesengeleitete Modelle, die auf Basis klinischer Informationen erstellt werden und sowohl psychodynamische, kognitiv-behaviorale als auch systemische oder humanistische Konzepte integrieren können. Ziel ist es, komplexe Symptomatiken verstehbar zu machen und individuell abgestimmte therapeutische Interventionen abzuleiten.
Struktur
Je nach therapeutischem Verfahren variiert der Aufbau der Fallkonzeption. Gemeinsame Elemente umfassen typischerweise:
- Anamnese und biografische Daten: Berücksichtigung belastender Lebensereignisse, Entwicklungsverläufe, familiärer Beziehungen, schulischer und beruflicher Kontexte
- Symptomatik und Diagnostik: Beschreibung der aktuellen Beschwerden, ICD- bzw. DSM-Diagnosen, psychometrische Befunde
- Problemanalyse: Darstellung zentraler Konflikte, dysfunktionaler Kognitionen, Schemata, Affekte oder Beziehungsmuster
- Störungsmodell: Theoretische Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung der Symptomatik – z. B. durch Konditionierung, maladaptive Schemata oder unbewusste Konflikte
- Behandlungsziele und Interventionen: Formulierung realistischer Therapieziele sowie Auswahl geeigneter Methoden und Techniken
- Prognose und Ressourcen: Einschätzung der Veränderungsmöglichkeiten, vorhandener Schutzfaktoren und Unterstützungssysteme
Funktionen
Die Fallkonzeption dient mehreren zentralen Zwecken:
- Verstehenshilfe: Integration von Symptomen in ein übergeordnetes Erklärungsmodell
- Therapieplanung: Ableitung konkreter Behandlungsstrategien
- Evaluation: Überprüfung von Hypothesen im Therapieverlauf und ggf. Anpassung der Interventionen
- Kommunikation: Austausch mit Kollegen, Supervisoren oder Ausbildungsinstitutionen
Verfahren und Besonderheiten
In der psychodynamischen Psychotherapie liegt der Fokus auf unbewussten Konflikten, Abwehrmechanismen und Beziehungsmustern (z.B. über die „konflikt- und strukturbezogene Fallkonzeption“ nach OPD). In der Verhaltenstherapie werden hingegen funktionale Zusammenhänge analysiert (z.B. SORKC-Modell, Beck’sche Schematherapie).
Fallkonzeptionen werden insbesondere in Ausbildung und Supervision intensiv eingesetzt, dienen aber auch erfahrenen Therapeuten zur strukturierten Reflexion komplexer Behandlungsverläufe.