Endosymbiontentheorie
von altgriechisch: ἔνδον ("éndon") - innen und συμβίωσις ("symbíōsis") - Zusammenleben
Synonyme: Endosymbionten-Theorie, Endosymbionten-Hypothese
Englisch: symbiogenesis, endosymbiotic theory, serial endosymbiotic theory
1. Definition
Die Endosymbiontentheorie besagt, dass im Laufe der Evolution Eukaryoten aus der Symbiose von Prokaryoten entstanden sind und sich so höhere Lebewesen entwickeln konnten. Nach dieser Theorie wurden chemo- und phototrophe Bakterien von Archaeen aufgenommen und entwickelten sich innerhalb ihrer Wirtszellen zu Organellen wie Mitochondrien und Plastiden. Die Theorie ist heute allgemein akzeptiert.
2. Geschichte
Die Idee der Endosymbiontentheorie wurde erstmals 1883 vom Botaniker Andreas Franz Wilhelm Schimper vorgeschlagen, um die Entstehung von Chloroplasten zu erklären. Ähnliche Gedanken äußerten Julius Sachs und Richard Altmann. Später wurde die Hypothese von Konstantin S. Mereschkowski (1905), Ivan Wallin (1922) und Boris Koso-Poljanski (1924) weiterentwickelt. Erst mit der Veröffentlichung von Lynn Margulis im Jahr 1967 gewann die Theorie größere Anerkennung.
3. Theorie
Charakteristisch für eukaryotische Zellen sind intrazelluläre, von einer Membran umschlossene Zellorganellen. Deren Entwicklung erfolgte vermutlich in zwei groben Schritten:
- Invagination der Plasmamembran
- Endosymbiose mit Prokaryoten
Es wird angenommen, dass ein Archaeon als Urbakterium zunächst eine Symbiose mit einem α-Proteobakterium eingegangen ist, wodurch die Mitochondrien entstanden. Anschließend folgte die Aufnahme eines Cyanobakteriums, das sich zu den Plastiden (Chloroplasten) entwickelte.
3.1. Invagination der Plasmamembran
Die Organellen eines Eukaryoten, die eine einzelne Membran besitzen, entstanden dieser Theorie nach durch die Einstülpung (Invagination) der eigenen Plasmamembran. So entstanden Organellen wie das endoplasmatische Retikulum, der Golgi-Apparat oder auch die Kernhülle. Diese Strukturveränderung ermöglichte eine kompartimentierte Zellorganisation, die für eukaryotische Zellen typisch ist.
3.2. Endosymbiose
Mit der Aufnahme von Proteobakterien und Cyanobakterien über ein Art Phagozytose konnten Mitochondrien und Plastiden wie Chloroplasten entstehen. Da diese ehemals freien Bakterien eigene DNA und Ribosomen besitzen, blieben sie teilweise unabhängig von der Wirtszelle, konnten aber nicht mehr eigenständig überleben.
4. Indizien für die Endosymbiontentheorie
Mehrere Beobachtungen stützen die Endosymbiontentheorie:
- Die DNA von Mitochondrien (mtDNA) und Chloroplasten ist ringförmig, ähnlich der bakteriellen DNA. Sie enthalten außerdem keine Histone und weisen Homologien zur bakteriellen DNA auf.
- Die Ribosom der Mitochondrien und der Chloroplasten besitzen Ähnlichkeiten zu den Ribosomen von Bakterien (Größe, Zusammensetzung).
- Die Proteinbiosynthese der Bakterien ist durch Antibiotika hemmbar; einige dieser Wirkstoffe beeinflussen auch die Biosynthese mitochondrialer und plastidärer Proteine.
- Die Doppelmembran der Organellen ist ein weiterer Beleg für diese Theorie. Die innere Membran ist dabei vermutlich die ursprüngliche Membran des eingewanderten Bakteriums und die äußere Membran stammt vom Urbakterium.
- Mitochondrien und Chloroplasten teilen sich unabhängig von der Zellteilung der Wirtszelle durch einen bakterienähnlichen Teilungsprozess (binary fission).
- Bei unterschiedlichen Lebewesen sind noch heute Zwischenstadien der Endosymbiose erkennbar (z.B. Korallen, Muscheln, Dinoflagellaten)
5. Erweiterte Endosymbiontentheorie
Neben der klassischen Endosymbiontentheorie gibt es auch hypothetische Erweiterungen, die weitere Symbiose-Ereignisse in Betracht ziehen:
- Die Serien-Endosymbiose-Hypothese, wonach weitere Zellorganellen aus Endosymbiosen entstanden sein könnten.
- Sekundäre Endosymbiose, bei der bereits eukaryotische Zellen erneut von anderen eukaryotischen Zellen aufgenommen wurden (z.B. bei Euglena).
6. Beispiele für Endosymbionten
6.1. Plastiden
6.1.1. Primäre Plastiden
Primäre Plastiden sind von zwei Hüllmembranen umgeben. Diese Struktur entspricht den ursprünglichen Membranen des aufgenommenen Cyanobakteriums. Die ursprüngliche äußere Membran, die bei der Phagozytose entstand, ist nicht mehr vorhanden. Zu den Gruppen mit primären Plastiden gehören:
- Glaucophyten: Enthalten Plastiden, die Cyanobakterien ähneln (Cyanellen)
- Rotalgen (Rhodophyta): Besitzen Plastiden mit Phycobilisomen
- Grünalgen und Landpflanzen (Viridiplantae): Entwickelten vielfältige Antennenkomplexe in ihren Chloroplasten.
- Paulinella chromatophora: Ein amöboider Protist mit eigenständiger Endosymbiose eines Cyanobakteriums.
6.1.2. Sekundäre Plastiden
Sekundäre Plastiden entstehen durch die Aufnahme eines eukaryotischen Organismus mit bereits vorhandenen Plastiden. Sie sind meist von drei oder vier Membranen umgeben. Beispiele für Organismen mit sekundären Plastiden sind:
- Braunalgen (Phaeophyceae)
- Goldalgen (Chrysophyceae)
- Haptophyten (Kalkalgen)
- Apicomplexa (z.B. Plasmodien, die Malaria-Erreger)
6.1.3. Tertiäre Plastiden
Tertiäre Plastiden entstehen durch die Aufnahme eines eukaryotischen Endosymbionten mit sekundären Plastiden. Einige Dinoflagellaten haben Plastiden, die von Haptophyten stammen. Beispiele hierfür sind:
- Gymnodinium galatheanum
- Gyrodinium aureolum
6.2. Mitochondrien
Mitochondrien sind die Energiezentren der eukaryotischen Zelle und stammen von aeroben Bakterien ab. Einige Eukaryoten besitzen jedoch stark reduzierte Mitochondrien, sogenannte "mitochondrienverwandte Organellen" (MROs), wie sie in parasitischen Protisten zu finden sind.
6.3. Geißeln
Die Evolution der eukaryotischen Geißeln ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass einige Komponenten dieser Strukturen ebenfalls von prokaryotischen Vorläufern stammen.
7. Literatur
- Margulis, L. (1967). "On the origin of mitosing cells." Journal of Theoretical Biology, 14(3): 225–274.
- Margulis, L. (1970). Origin of Eukaryotic Cells. Yale University Press.
- Archibald, J. M. (2014). One Plus One Equals One: Symbiosis and the Evolution of Complex Life. Oxford University Press.
- Schimper, A. F. W. (1883). "Über die Entwickelung der Chlorophyllkörner und Farbkörper." Botanische Zeitung, 41: 105–114.
- Mereschkowski, K. (1905). "Über Natur und Ursprung der Chromatophoren im Pflanzenreiche." Biologisches Centralblatt, 25: 593–604.