Chassaignac-Lähmung
nach Charles Marie Édouard Chassaignac (1805-1879), französischer Chirurg
Synonyme: Chassaignac-Verletzung, Morbus Chassaignac, Radiuskopf-Subluxation, Radiusköpfchen-Subluxation, Pronatio dolorosa, Pronation douloureuse Chassaignac, Kindermädchen-Ellbogen, Subluxatio radii perianularis
Englisch: nursemaid elbow
Definition
Bei der sogenannten Chassaignac-Lähmung kommt es zu einer Subluxation des Radiuskopfes, wobei es aus der Incisura radialis der Ulna herausrutscht und so das Ligamentum anulare radii einklemmt.
- ICD-10-Code: S53.0 Luxation des Radiuskopfes
Nomenklatur
Die Chassaignac-Lähmung ist eine Pseudoparese, da die Ursache der Bewegungseinschränkungen keine Nervenlähmung, sondern eine Gelenkblockade ist. Aus diesem Grund wird als alternative Krankheitsbezeichnung auch der Begriff "Radiusköpfchen-Subluxation" empfohlen, der sich in der klinischen Umgangssprache jedoch nicht überall durchgesetzt hat.
Epidemiologie
Die Chassaignac-Lähmung tritt v.a. zwischen dem 1. und 4. Lebensjahr auf, dabei sind Mädchen häufiger betroffen. Es handelt sich um die häufigste Verletzung des proximalen Radius im Kindesalter. Das Rezidivrisiko beträgt ca. 25 %. Bei Erwachsenen tritt sie nur sehr selten auf.
Ätiologie
Die inkomplette Luxation des Ellenbogengelenks kommt durch einen ruckartigen Zug nach oben am ausgestreckten Arm zustande. Ein typischer Unfallmechanismus liegt vor, wenn das Kind vom Erwachsenen an der Hand geführt wird und dann, um zum Beispiel vor einem Sturz bewahrt zu werden, ruckartig am Arm gezogen wird. Da bei Kindern im Vergleich zum Erwachsenen das Gewebe noch sehr elastisch ist, neigen sie eher zu solchen Verletzungen.
Symptome
Die Chassaignac-Lähmung äußert sich mit Schmerzen am lateralen Ellenbogen und einer Extensions- und Supinationshemmung im Ellenbogengelenk, die sich klinisch als Pseudolähmung präsentiert. Als Folge halten die Kinder ihren Arm unter starken Schmerzen in schlaffer Flexions- und Pronationsstellung (Pronatio dolorosa).
In der Regel liegen keine Begleitverletzungen vor. Eine Schwellung oder eine Deformität ist eher untypisch und sollte einen Frakturausschluss nach sich ziehen.
Diagnose
Durch eine ausführliche Anamnese (typischer Unfallhergang) und eine körperliche Untersuchung (Pronatio dolorosa, Druckschmerz, Kontrolle von pDMS und Begleitverletzungen) kann die Diagnose meist klinisch gestellt werden.
Eine Bildgebung ist bei eindeutiger Klinik nicht nötig, in anderen Fällen kann eine Röntgenuntersuchung hilfreich sein.
Differenzialdiagnosen
- Monteggia-Fraktur mit Radiuskopf-Subluxation
- Radiuskopffraktur
- Suprakondyläre Humerusfraktur
- Olekranonfraktur
- Arthritis
Therapie
Therapie der Wahl ist eine manuelle Reposition der Subluxation. Hierfür existieren verschiedene Methoden; eine Anästhesie ist i.d.R. nicht nötig.
Bei dem als Chassaignac-Handgriff bezeichneten Repositionsmanöver drückt der Arzt mit dem Daumen auf den Radiuskopf, während er gleichzeitig den Unterarm supiniert und das Ellenbogengelenk extendiert. Dabei ist oftmals ein Einschnappen des Radiuskopfes spür- bzw. hörbar. Eine anschließende Röntgenkontrolle oder Ruhigstellung ist nicht notwendig; es besteht eine sofortige volle Funktionsfähigkeit.
Bleibt die Reposition erfolglos, sollte zum Frakturausschluss eine Röntgenaufnahme in zwei Ebenen erfolgen. Anschließend kann für maximal drei Tage eine Ruhigstellung in einer Oberarmgipsschiene erwogen werden. In dieser Zeit erfolgt meist eine spontane Reposition.
Prognose
Bei rechtzeitiger Reposition ist die Prognose sehr gut.
Literatur
- Frakturen und Luxationen im Wachstumsalter. von Laer L, Schneidmüller D, Hell A, Hrsg. 7., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2020. doi:10.1055/b-006-160378
- Checkliste Orthopädie. Imhoff A, Linke R, Baumgartner R, Hrsg. 4., unveränderte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2021. doi:10.1055/b000000527