Frühkindliches Schielsyndrom
Synonyme: Kongenitale Esotropie, Kongenitales Schielsyndrom
Definition
Das frühkindliche Schielsyndrom bezeichnet ein Schielen mit Beginn innerhalb der ersten 6 Lebensmonate, das nicht durch Refraktionsfehler oder andere Augenerkrankungen ausgelöst ist. Es handelt sich um eine zentrale Entwicklungsstörung des Binokularsehens.
Abgrenzung
Im Gegensatz zu inkomitanten Schielformen (z.B. Augenmuskelparesen), ist das frühkindliche Schielsyndrom konkomitant (das Ausmaß der Schielabweichung ist in allen Blickrichtungen annähernd gleich).
Epidemiologie
Die Prävalenz liegt bei ca. 1:50.000 bis 1:500.000 Lebendgeburten.
Ätiologie
Die Ätiologie ist bisher (2025) nicht abschließend geklärt. Als prädisponierende Faktoren gelten genetische Disposition, zerebrale Reifungsstörungen, Frühgeburten und perinatale Hypoxie.
Pathophysiologie
Durch einen Defekt in der Entwicklung des Vergenzsystems ist die Fusionsfähigkeit und damit auch das Binokularsehen gestört. Das Schielen ist somit Ausdruck einer Unfähigkeit des Gehirns, das Bild des linken Auges und das Bild des rechten Auges zu einer gemeinsamen Sinneswahrnehmung zu verschmelzen. Durch das frühe Schielen kommt es zu einer zentralen Unterdrückung (Suppression) der Seheindrücke des schielenden Auges, was langfristig zu einer Amblyopie führt.
Klinik
Typische Symptome des frühkindlichen Schielsyndroms sind:
- Strabismus convergens (Esotropie)
- latenter Nystagmus
- dissoziiertes Höhenschielen
- Störungen in der Innervation der schrägen Augenmuskeln
- komepensatorische Kopfneigung
Diagnostik
Im Vordergrund stehen die Anamnese und die klinische Untersuchung. Entscheidender Hinweis ist der frühzeitige Schielbeginn, idealerweise dokumentiert durch Fotos oder Berichte der Eltern. Orthoptische Tests wie der Cover-Test, der Hirschberg-Test und die Prüfung der Augenmotilität sichern die Diagnose. Eine zykloplegische Refraktionsbestimmung ist essenziell zum Ausschluss eines akkommodativen Anteils. Das stereoskopische Sehen wird mit altersgerechten Verfahren überprüft. Apparative Zusatzdiagnostik ist in der Regel nicht notwendig.
Differentialdiagnosen
Wichtige Differentialdiagnosen sind das akkommodative Schielen, paretische oder restriktive Strabismusformen sowie ein Pseudostrabismus bei anatomischen Varianten wie einem breiten Nasenrücken. Auch neurologisch bedingte Blickpareseformen sind selten abzugrenzen.
Therapie
In erster Linie steht die Behandlung/Prophylaxe einer Amblyopie im Vordergrund, die so früh wie möglich beginnen sollte. Durch Okklusion des dominanten Auges wird die Funktion des amblyopen Auges gefördert. Bei stabilem, größerem Schielwinkel erfolgt in der Regel innerhalb des zweiten Lebensjahres eine operative Korrektur der Augenmuskelstellung. Häufig sind Folgeoperationen nötig. Eine intensive orthoptische Nachbehandlung ist entscheidend für die Stabilisierung des postoperativen Ergebnisses. Bei Vorliegen einer Hyperopie erfolgt eine frühzeitige Brillenverordnung.
Prognose
Kosmetisch kann durch frühzeitige Intervention ein gutes Ergebnis erzielt werden. Die Prognose für die Entwicklung binokularer Funktionen ist jedoch eingeschränkt. Eine dauerhafte Einschränkung des räumlichen Sehens ist häufig, insbesondere bei spätem Therapiebeginn oder unvollständiger Compliance. Eine lebenslange orthoptische Kontrolle wird empfohlen.
Literatur
- Helveston EM: Congenital esotropia: etiology and treatment. Am Orthopt J, abgerufen am 28.05.2025
- Lang GK: Augenheilkunde., abgerufen am 28.05.2025
- Grehn: Augenheilkunde, 31. Auflage, Springer.
- Leitlinien der DOG und des BVA zur Schielbehandlung im Kindesalter, abgerufen am 28.05.2025