Runaway-Herzschrittmacher-Phänomen
Synonyme: Runaway-Herzschrittmacher, Runaway-Schrittmacher, Runaway-Phänomen
Englisch: runaway pacemaker
Definition
Das Runaway-Herzschrittmacher-Phänomen beschreibt eine seltene, potenziell lebensbedrohliche Fehlfunktion eines Herzschrittmachers. Dabei produziert das Aggregat plötzlich und unkontrolliert elektrische Stimulationsimpulse mit hoher Frequenz (typischerweise 150–200/min), was ventrikuläre Tachykardien und eine hämodynamische Instabilität auslösen kann.
Hintergrund
Das Phänomen wurde vor allem bei älteren Schrittmachergenerationen beschrieben und ist heute (2025) extrem selten. Es trat insbesondere im Zusammenhang mit Batterieerschöpfung auf. In den 1980er- und 1990er-Jahren kam es durch elektronische Defekte oder Fehlfunktionen des Taktgenerators zu unkontrollierten Hochfrequenzimpulsen.
Moderne Herzschrittmachersysteme verfügen über mehrere Sicherheitsschaltungen, die ein solches Verhalten verhindern sollen (sog. "Runaway-Schutzfunktionen").[1] Dennoch sind in der Literatur auch bei neueren Geräten vereinzelt Fälle dokumentiert, meist im Rahmen technischer Defekte oder außergewöhnlicher Fehlfunktionen.
Ursachen
Die Ursachen des Phänomens lassen sich in technische und elektronische Störungen unterteilen:
- Spannungsinstabilität durch Batterieerschöpfung
- Fehlfunktion des Oszillators oder der Verstärkerstufe im Generator
- Defekte im Schaltkreis infolge von Alterung, Korrosion oder Trauma
- Externe elektromagnetische Interferenzen, etwa durch starke Magnetfelder (z.B. MRT) oder Hochfrequenzquellen
Symptome
Klinisch zeigen sich die Symptome wie bei einer hämodynamisch relevanten Tachykardie. Betroffene können über intermittierende Thoraxschmerzen, Palpitationen, Unruhe, Schwindel oder Synkopen klagen. Im weiteren Verlauf kann es zu Hypotonie, kardiogenem Schock oder im Extremfall zum Herz-Kreislauf-Stillstand kommen.
Diagnostik
Im EKG oder dem internen Speicher des Schrittmacher zeigen sich regelmäßige, hochfrequente Stimulationsspikes (meist 150–200/min), unabhängig von der Eigenaktivität. Bei erfolgreicher Überleitung resultiert eine ventrikuläre Tachykardie oder Kammerflimmern, bei fehlendem Capture-Versagen nur Artefakte ohne mechanische Antwort.
Nach Stabilisierung sollte sofort ein telemetrische Abfrage des Schrittmachers erfolgen. Dabei zeigt sich meist eine unkontrollierte Impulsgenerierung durch einen Defekt des Taktgenerators. Zum Ausschluss anderer Ursachen kann unterstützend eine Bildgebung (z.B. Röntgenthorax) zur Kontrolle der Schrittmacherlage erfolgen.
Therapie
Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach der Dauer der Fehlfunktion und dem Ausmaß der hämodynamischen Beeinträchtigung, da Runaway-Episoden oft nur wenige Sekunden anhalten. Besteht die Fehlfunktion länger oder führt sie zu einer schweren Instabilität, kann eine Reanimation erforderlich werden.
Durch die Auflage eines Magneten können einige Herzschrittmacher in einen asynchronen Stimulationsmodus mit fester Frequenz überführt werden. Liegt die Ursache jedoch in einer internen Störung des Taktgenerators, bleibt auch hier die Magnetanwendung häufig ohne Wirkung.
In jedem Fall ist eine umgehende Kontaktaufnahme mit einem kardiologischen Zentrum mit Device-Expertise erforderlich, um eine Schrittmacherabfrage, Funktionsprüfung und gegebenenfalls Reprogrammierung oder einen Generatorwechsel durchzuführen.
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Kardiologie: Sachkundekurs der Herzschrittmacher-Therapie , abgerufen am 27. Oktober 2025
- BÄK-Curriculum „Praxis der Herzschrittmachertherapie“, Bundesärztekammer, 3. Aufl., 2022, abgerufen am 27. Oktober 2025
- Ortega et al., Runaway pacemaker: a forgotten phenomenon?, Europace, 2005
- Gul et al., Runaway pacemaker, BMJ Case Rep, 2019
Quellen
- ↑ Boston Scientific ACCOLADE – Physician’s Technical Manual, Runaway-Schutzfunktion, Seite 46. abgerufen am 08. Oktober 2025