Pervasive Refusal Syndrome
Synonym: allumfassendes Verweigerungssyndrom
Definition
Das Pervasive Refusal Syndrome, kurz PRS, ist eine seltene, schwerwiegende und potenziell lebensbedrohliche kinder- und jugendpsychiatrische Störung, die durch eine ausgeprägte, generalisierte Verweigerungshaltung gegenüber Nahrungsaufnahme, Kommunikation, Mobilität und Selbstversorgung gekennzeichnet ist. Die Betroffenen zeigen eine aktive Verweigerung bei gleichzeitigem Fehlen organischer Ursachen.
Epidemiologie
Ätiologie und Pathogenese
Die Entstehung ist nicht vollständig geklärt. Das PRS wird häufig im Kontext von psychosozialen Belastungen, Traumatisierungen oder länger anhaltenden Konflikt- und Stresssituationen beschrieben. Vermutet wird eine multifaktorielle Genese mit Wechselwirkung von psychischen Vulnerabilitäten, familiären Dynamiken und belastenden Lebensereignissen. Eine neurobiologische Grundlage ist bislang nicht nachgewiesen.
Klinik
Charakteristisch ist eine progrediente Verweigerungshaltung in mehreren Lebensbereichen:
- Nahrungsaufnahme: Ess- und Trinkverweigerung bis hin zu Dehydratation und Mangelernährung
- Kommunikation: selektiver oder kompletter Mutismus
- Mobilität: Immobilität bis hin zur völligen Vermeidung von Bewegung
- Selbstversorgung: Ablehnung von Körperpflege und alltäglichen Aufgaben
Zusätzlich treten häufig depressive Symptome, Ängste, sozialer Rückzug und somatische Folgeerscheinungen auf.
Diagnose
Die Diagnosestellung erfolgt klinisch und setzt den Ausschluss organischer, neurologischer und anderer psychiatrischer Erkrankungen voraus (z.B. Anorexia nervosa, schwere Depression, Mutismus, Konversionsstörung).
Diagnosekriterien
Von Nunn et al. (1996) wurden folgende diagnostische Kernkriterien vorgeschlagen:
- Teilweise oder vollständige Weigerung, zu essen, zu trinken, zu sprechen, zu gehen oder sich zu pflegen
- Aktive Opposition gegenüber Hilfeleistungen
- Fehlen einer organischen Ursache
- Schwere Funktionsbeeinträchtigung
- Beginn im Kindes- oder Jugendalter
Differentialdiagnosen
- Anorexia nervosa
- Depression im Kindes- und Jugendalter
- Katatonie
- Mutismus
- Dissoziative Störungen
- Chronisches Fatigue-Syndrom
Therapie
Die Behandlung erfolgt in der Regel stationär, interdisziplinär und langfristig. Wesentliche Elemente sind:
- Somatische Stabilisierung: Sicherstellung von Ernährung und Flüssigkeit, ggf. über Sondenernährung
- Psychotherapeutische Intervention: behutsamer, beziehungsorientierter Ansatz (z. B. supportive, familienorientierte Therapie)
- Familienarbeit: Entlastung und Unterstützung der Bezugspersonen
- Physiotherapie: Förderung der Mobilität
- Medikamentöse Therapie: Keine spezifische Pharmakotherapie; ggf. symptomorientierter Einsatz bei komorbiden Störungen
Der Verlauf ist oft protrahiert, die Prognose aber bei frühzeitiger und konsequenter Behandlung in vielen Fällen günstig.
Prognose
Eine vollständige Remission ist möglich, erfordert jedoch häufig Monate bis Jahre intensiver Behandlung. Rückfälle können bei erneuter Belastung auftreten.
Geschichte
Das Syndrom wurde erstmals Anfang der 1990er-Jahre in der Fachliteratur beschrieben.
Quellen
- Nunn KP, Lask B, Owen I. Pervasive refusal syndrome (PRS) 21 years on: a re-conceptualisation and a renaming. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2014;23(3):163-172. doi:10.1007/s00787-013-0433-7
- Thompson SL, Nunn KP. Managing pervasive refusal syndrome: strategies of hope. Clin Child Psychol Psychiatry. 1998;3(2):229-249. doi:10.1177/1359104598032007