Palinopsie
von altgriechisch: πάλιν ("pálin") - noch einmal; ὄψις ("ópsis") - das Sehen, Ansicht
Synonym: visuelle Perseverationen
Englisch: palinopsia
Definition
Unter dem Begriff Palinopsie fasst man visuelle Wahrnehmungsstörungen zusammen, bei der es zum anhaltenden oder wiederkehrenden Auftreten von pathologischen Nachbildern kommt, nachdem der auslösende Reiz bereits aus dem betreffenden Gesichtsfeldbereich entfernt wurde.
Abgrenzung
Palinopsien sind von physiologischen Nachbildern abzugrenzen. Diese treten nach Betrachten sehr heller Stimuli auf und sind komplementär zum auslösende Stimulus gefärbt, während Palinopsien meist isochromatisch zum perseverierenden Objekt sind.[1]
Einteilung
Grundsätzlich werden zwei Ausprägungsformen von Palinopsien unterschieden:[1]
- illusorische Palinopsien: ungeformte, undeutliche Nachbilder, deren Ausprägung von Umgebungslicht und Bewegung abhängig ist
- halluzinatorische Palinopsien: lebhafte, detailreiche, hochaufgelöste Nachbilder, die lang anhalten und nicht von Umgebungslicht und Bewegung beeinflusst werden
Ätiologie
Illusorische Palinopsien sind durch Störungen der visuellen Wahrnehmung bedingt. Typische Ursachen hierfür sind:[1][2]
- Pharmaka, z.B. Topiramat, Mirtazapin, Trazodon, Nefazodon
- Halluzinogene (z.B. LSD, MDMA) und HPPD
- Migräne, insbesondere mit Aura; die Palinopsien treten jedoch nicht zwingend während einer Migräneattacke auf, sondern können episodisch und unabhängig davon erscheinen
- Schädel-Hirn-Trauma
Halluzinatorische Palinopsien entstehen durch eine Störung der kortikal-visuellen Verarbeitung. Typischerweise treten sie bei strukturellen Läsionen oder epileptischen Anfällen im Bereich des Temporal-, Parietal- oder Okzipitallappens auf.[1] Ein Teil der Fälle ist hierbei mit einem Gesichtsfeldausfall und einem Charles-Bonnet-Syndrom assoziiert.[1]
Ein Teil der Fälle tritt idiopathisch auf.[1][3]
Klinik
Palinopsien können folgende Gestalt annehmen:[1]
| Palinopsie | Form | Beschreibung | Beispiel |
|---|---|---|---|
| prolongierte ungeformte Nachbilder | illusorisch | Nach Betrachten eines – vor allem hellen oder kontrastierten – Objektes verbleibt dessen Nachbild als grober Umriss | Nach Betrachten einer Straßenlaterne verbleibt deren heller Umriss für einige Minuten im Gesichtsfeld |
| visuelles Nachziehen ("ghosting") | illusorisch | Ein sich durch das Gesichtsfeld bewegendes Objekt hinterlässt eine Spur aus Objektkopien, die entweder diskret abgrenzbar bleiben oder zu einer zusammenhängenden Spur verschwimmen | Ein sich durch das Gesichtsfeld bewegender Ball zieht eine Spur an Bällen hinter sich her |
| Lichtstreifen | illusorisch | Bei Bewegung einer Lichtquelle durch das Gesichtsfeld zieht diese einen Lichtschweif hinter sich her, der langsam verblasst | Die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos ziehen lange Lichtschweife durch das Gesichtsfeld |
| geformte Bildperseveration | illusorisch oder halluzinatorisch | Festes Verharren des Nachbilds eines zuvor gesehenen Objektes an einer bestimmten Stelle des Gesichtsfelds; entweder dort, wo das Objekt ursprünglich gesehen wurde, oder in einem anderen (häufig auch einem anoptischen) Bereich. Bildperseverationen können entweder sofort nach Objektwahrnehmung oder verzögert auftreten. | Der Untersucher zeigt dem Patienten eine Hand mit zwei Fingern. Der Patient blickt anschließend auf eine Wand und sieht auf dieser wieder die Untersucherhand schweben. |
| Perseveration von Bildvarianten | illusorisch oder halluzinatorisch | Ähnelt einer Bildperseveration, jedoch sind die Nachbilder in bestimmten Eigenschaften leicht abgewandelt | Die perseverierende Hand aus obenstehendem Beispiel ist schwarz gefärbt |
| geformte Szenenperseveration | halluzinatorisch | Nachbild eines Bewegtbildes, bei der sich eine wahrgenommene Szene mehrfach wiederholt. Derartige Palinopsien können sich ebenfalls in anoptischen Bereichen befinden und um wenige Minuten verzögert auftreten. | Eine Person winkt dem Betroffenen zu. Anschließend sieht der Betroffene eine winkende Hand in seinem Gesichtsfeld |
| kategorielle Übertragung | halluzinatorisch | Ein gesehenes Objekt wird im Folgenden auf ähnliche Objekte überlagert | Nach Sehen eines bärtigen Mannes der Bart auf später wahrgenommene, andere Personen übertragen |
| Musterausbreitung | halluzinatorisch | Visuelle Muster werden auf andere Objekte übertragen | Nach Betrachten eines karierten Papiers wird das Karomuster auf den Fußboden übertragen |
Je nach Form und Ursache halten Palinopsien meist für wenige Sekunden, selten aber auch über Stunden oder Tage an.[1]
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 Gersztenkorn und Lee, Palinopsia revamped: A systematic review of the literature, Survey of Ophthalmology, 2015
- ↑ Belcastro et al., Palinopsia in patients with migraine: A case-control study, Cephalgia, 2011
- ↑ Pomeranz und Lessell, Palinopsia and polyopia in the absence of drugs or cerebral disease, Neurology, 2000