Finnegan-Score
nach der US-amerikanischen Gynäkologin Loretta P. Finnegan
Englisch: Finnegan score
1. Definition
Der Finnegan-Score ist ein standardisiertes Bewertungssystem zur Beurteilung des neonatalen Abstinenzsyndroms (NAS), das insbesondere bei Neugeborenen mit intrauteriner Exposition gegenüber Opioiden angewendet wird. Er ermöglicht die Einschätzung der Schwere der Entzugssymptome und dient als Grundlage für Therapieentscheidungen.
2. Hintergrund
Das neonatale Abstinenzsyndrom tritt auf, wenn Neugeborene plötzlich von einer chronischen In-utero-Exposition mit Opioiden oder anderen Substanzen entwöhnt werden. Dies kann durch den mütterlichen Konsum von Heroin, Methadon, Buprenorphin oder anderen Substanzen während der Schwangerschaft verursacht werden. Der Finnegan-Score wurde 1975 von Finnegan und Kollegen publiziert.
3. Methodik
Die Bewertung nach dem Finnegan-Score erfolgt durch klinische Beobachtung in festgelegten Zeitintervallen. Je nach Klinik erfolgt die Erhebung in den ersten 48 Stunden alle 2 Stunden, danach für weitere 72 Stunden alle 3–4 Stunden.
Das Bewertungsschema umfasst 21 Symptome, die in 3 Hauptkategorien eingeteilt werden:
- Zentrales Nervensystem (ZNS)
- Unstillbares Schreien
- Hyperreflexie
- Tremor (mild oder stark)
- Übermäßiges Gähnen
- Schlafstörungen
- Vegetative Symptome
- Schwitzen
- Erhöhte Atemfrequenz (> 60/min)
- Niesen und Schluckauf
- Temperaturinstabilität
- Gastrointestinale Symptome
- Trinkschwäche
- Erbrechen
- Durchfall
- Starker Saugreflex
Jedes Symptom erhält eine bestimmte Punktzahl, abhängig von seiner Ausprägung und Schwere.
4. Interpretation
- 0–7 Punkte → Mildes NAS, keine medikamentöse Therapie erforderlich
- ≥ 8 Punkte bei zwei aufeinanderfolgenden Messungen → Therapie erforderlich
- > 12 Punkte → Intensivierte Therapie notwendig, ggf. stationäre Überwachung
5. Therapieoptionen
Die Behandlung erfolgt nach einem Stufenmodell:
- Nicht-medikamentöse Therapie
- Rooming-in mit der Mutter, Stillen, enger Haut-zu-Haut-Kontakte
- Reizreduktion (dunkle Räume, wenig Lärm)
- Gezielte Beruhigungsmethoden (z.B. Pucken)
- Medikamentöse Therapie (bei anhaltendem Finnegan-Score ≥ 8)
- Morphin oder Methadon als Standardtherapie
- Buprenorphin (neue Therapieoption mit weniger Entzugserscheinungen)
- In schweren Fällen Phenobarbital oder Clonidin als zusätzliche Medikation
Die medikamentöse Behandlung wird schrittweise ausgeschlichen, sobald die Symptome stabilisiert sind.
6. Nachteile und Limitationen
- Subjektivität: Die Bewertung kann zwischen Beobachtern variieren.
- Hohe Frequenz der Messungen: Kann für Pflegepersonal belastend sein.
- Fehlende Berücksichtigung von nicht-opioiden Drogen: Ein NAS kann auch durch andere Substanzen ausgelöst werden, z.B. durch Benzodiazepine oder SSRI.
7. Quellen
- Finnegan et al., Neonatal abstinence syndrome: Assessment and management, Addict Dis, 1975
- Kocherlakota, Neonatal Abstinence Syndrome, Pediatrics, 2014
- Grossman und Berkwitt, Neonatal Abstinence Syndrome: Time for a Reappraisal, Hosp Pediatr, 2017
- Hudak und Tan, Neonatal Drug Withdrawal, Pediatrics, 2012