Weiße-Linie-Defekt (Rind)
Synonyme: WLD, Weiße-Linie-Erkrankung
Englisch: white line separation, white line disease
Definition
Als Weiße-Linie-Defekt bzw. white line disease bezeichnet man eine Zusammenhangstrennung im Bereich der weißen Linie (Zona alba) zwischen dem Sohlen- und Wandhorn beim Rind.
Epidemiologie
Zusammenhangstrennungen im Bereich der weißen Linie kommen in Laufställen besonders häufig vor. Derartige Defekte treten sowohl an der Vorder- als auch an der Hintergliedmaße auf und können überall an der weißen Linie vorkommen (axial, vorne, seitlich, hinten). Am häufigsten bilden sich Weiße-Linie-Defekte am hinteren abaxialen Abschnitt der Außenklaue.
Ätiologie
Zu den auslösenden Ursachen einer weißen-Linie-Erkrankung zählen:
- mechanische Einwirkung (Druck, ausgelöst durch die meist höhere Außenklaue sowie Rotationsbewegungen der distalen Gliedmaße beim Wenden der Kuh)
- chronische Klauenerkrankungen (z.B. Klauenrehe und Rollklauen)
- verminderte Hornqualität aufgrund Klauendeformationen (z.B. bei fehlerhaften Klauenpflege)
Das Horn der weißen Linie ist deutlich weicher ist als das Sohlen- und Wandhorn. Daher ist es besonders anfällig gegenüber Mazeration infolge unhygienischer sowie feuchter Liege- und Laufflächen. Durch mangelnde Stallhygiene und fehlerhaften Haltungsbedingungen kommt es vermehrt zu weiße-Linie-Defekten bei Rindern.
Pathogenese
Die weiße Linie stellt aufgrund ihres histologischen und morphologischen Aufbaus (Blättchenhorn) eine mechanische Schwachstelle dar. Durch die druckbedingte Beanspruchung beim Ausgleich der Abwärtsbewegung der Hornsohle und der Seitwärtsbewegung der Hornwand, kommt es zu vermehrten Druck- und Scherkräften, die einen Defekt in diesem Bereich begünstigen. Besonders prädisponiert ist das abaxiale Ende der weißen Linie, da dieser Bereich bei der Fußung und Drehung besonders stark belastet wird.
Klinik
Solange die Lederhaut nicht betroffen ist, zeigen die Tiere keine Lahmheit (Wanddefekt ohne Lederhautbeteiligung).
Breitet sich eine Infektion aufgrund eines fehlenden Exsudatabflusses und erhöhten Infektionsdrucks (starke Verschmutzung im Stall) aus, kommt es zu einer Beteiligung der Lederhaut. Wird der Defekt nicht zeitnah erkannt und behandelt, greift die Infektion auf tiefe Strukturen über (z.B. Tuberculum flexorium, tiefe Beugesehne, Bursa podotrochlearis, Klauensesambein) und ermöglicht einen Einbruch der Pathogene in das Klauengelenk und/oder in die Fesselbeugesehnenscheide (Wanddefekt mit umfangreicher Lederhautinfektion). Tiere mit komplizierten Weiße-Linie-Defekten leiden an hochgradiger Lahmheit (Grad 4 bis 5 nach Sprecher et al.) und einer deutlichen Schwellung im Bereich des Kronsaums bzw. Fesselbeugesehnenscheiden.
Diagnose
Bei der Adspektion und auch bei der funktionellen Klauenpflege wird eine unterschiedlich ausgedehnte Zusammenhangstrennung im Bereich der weißen Linie sichtbar. Diese ist meist mit Kot bzw. Massen von zerfallenem Horn gefüllt, wobei auch Fremdkörper (kleine Steine u.ä.) eingetreten sein können. Mittels Zangenpalpation wird das betroffene Areal anhand der Schmerzreaktion eingegrenzt. Wird dabei auch gelb-rahmiger Eiter ausgedrückt, ist dies stets ein Hinweis auf eine Mitbeteiligung tiefer gelegener Strukturen.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch müssen sämtliche Klauenerkrankungen in Betracht gezogen werden.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach dem Ausmaß der Erkrankung und hängt davon ab, ob der Defekt nur oberflächlich ausgebildet ist oder gar tiefer gelegene Strukturen betroffen sind:
- Wanddefekte ohne Lederhautbeteiligung (keine Lahmheit, keine Schwellung) werden im Rahmen der funktionellen Klauenpflege fachgerecht freigelegt und entlastet.
- Wanddefekte, die mit einer umfangreichen Lederhautinfektion und einer Ablösung des Wandhorns einhergehen, müssen chirurgisch therapiert werden. Nachdem auf die gesunde Nachbarklaue ein Klotz geklebt wird, wird unter intravenöser Stauungsanästhesie (IVSTAN) der Defekt vom Tragrand ausgehend unterminiert und entfernt. Ebenso werden alle veränderten Lederhautanteile exzidiert und eine Abflussmöglichkeit angelegt. Alle zusätzlich betroffenen Strukturen (tiefe Beugesehne, Sesambeine u.ä.) müssen ebenso reseziert und gespült werden.
Kann die Infektion tiefer gelegener Strukturen nicht fachgerecht behandelt werden, ist eine Amputation der betroffenen Klaue indiziert.
Prophylaxe
- regelmäßige (2 bis 3x jährlich), fachgerechte und zeitgerechte Klauenpflege (nicht vor Weideaustrieb oder Almabtrieb)
- regelmäßige Kontrolle der Zwischenklauenachse im Fressgitter
- regelmäßige (tägliche) Lahmheitskontrolle der Herde beim Melken
- scharfe Kanten, unhygienische Bedingungen und feuchte Liegeboxen vermeiden
- enge Kurven und Sackgassen in den Laufwegen vermeiden
Quellen
- A. Univ.-Prof. Dr. Johann Kofler. Dipl. ECBHM. Orthopädische Erkrankungen & Orthopädische Operationen bei Wiederkäuern. Neu überarbeitet im Jänner 2015 mit 45 Videos abrufbar mittels QR-Code & URL's zur VETmedhiathek. Klinik für Wiederkäuer, Vetmeduni Wien.
- A. Univ.-Prof. Dr. Johann Kofler. Diagnoseschlüssel zu Klauenerkrankungen für Klauenpfleger & Tierärzte, Johann Kofler. Klinik für Wiederkäuer, Vetmeduni Wien, 14.11.14 (abgerufen am 03.10.2019)
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