Permissive Hypotonie
Synonyme: permissive Hypotension
Englisch: hypotensive resuscitation, low volume resuscitation
Definition
Die permissive Hypotonie ist ein Konzept in der Infusionstherapie zur Behandlung von schwerverletzten Patienten mit starken Blutungen. Ziel hierbei ist es, einen weiteren Blutverlust durch zu hohen Blutdruck zu vermeiden.
Hintergrund und Geschichte
Das Konzept der permissiven Hypotonie bleibt umstritten, zeigt jedoch in einigen Studien positive Auswirkungen auf die Mortalitätsrate. Die Idee, dass eine voreilige und zu großzügige Therapie mit Infusionslösungen Probleme bereiten kann, wurde bereits 1918, gegen Ende des ersten Weltkrieges, von Walter Cannon geäußert:
“Injection of a fluid that will increase blood pressure has dangers in itself. … If the pressure is raised before the surgeon is ready to check any bleeding that might take place, blood that is sorely needed may be lost.”
Mit dieser Aussage äußerte der US-amerikanische Physiologe sein Bedenken, dass das Verabreichen von Infusionen beim Trauma die Gefahr birgt, den Blutdruck zu erhöhen und somit einen Blutverlust vor der chirurgischen Kontrolle/Blutstillung zu begünstigen.
Prinzip
- Ein Abfallen des systolischen Blutdrucks wird zugelassen, um ein Verbluten zu verhindern und gleichzeitig die Perfusion der Organe aufrecht zu erhalten. Ziel ist es, die Blutung durch Hämostase und Gerinnung zu stillen (englisch: "don't pop the clot") und nicht über eine Erhöhung des Blutdruckes die Blutung zu verschlimmern.
- Eine zyklische und übermäßige Infusionstherapie verhindern, weil sie Blutungen verschlimmert und somit die Hypotension trotz der verabreichten Infusionen verstärkt.
- Ein niedriger Blutdruck ist nicht das Ziel, vielmehr ist es ein Kompromiss, während man auf die definitive chirurgische Intervention wartet.
- Ziel ist die Blutungsstillung. Sobald diese erreicht ist, soll eine Normalisierung der Hämodynamik angestrebt werden.
Aufgrund folgender Faktoren begünstig eine Volumensubstitution eine Blutung:
- Förderung der Blutung aus den verletzten Gefäßen
- Behinderung der Hämostase und Gerinnung
- Begünstigung einer Hypothermie
- Verdünnung des Blutes inklusive zellulärer Bestandteile und Gerinnungsfaktoren
Limitationen
Da die permissive Hypotension umstritten ist, gibt es weder klare Guidelines für die Anwendung noch feste Richtlinien für angestrebte Blutdruckwerte. Zudem variieren diese Werte je nach Individuum und Umständen. Während der ansonsten gesunde Patient das verminderte Blutvolumen zeitweise kompensieren kann, muss bei diversen chronischen Erkrankungen sowie Begleitverletzungen im Rahmen des Traumas der Nutzen der permissiven Hypotension überdacht werden:
- Gefäßkrankheit (Karotisstenose, KHK etc.)
- Schädel-Hirn-Trauma[1]
- arterielle Hypertonie
- Niereninsuffizienz
- Crush-Syndrom
Klinische Empfehlungen
- Systolischer Blutdruck von 70-80 mmHg
- Mittlerer arterieller Blutdruck von ca. 50 mmHg
Das US-Militär richtet sich nach dem Bewusstsein des Patienten. Bei Bewusstlosigkeit oder sonstig verändertem Bewusstsein wird interveniert, um einen Blutdruck von ca. 70 mmHg systolisch zu erreichen.
Die S3-Leitlinie Polytrauma empfiehlt:[2]
- Bei aktiver Blutung bis zur chirurgischen Blutstillung sollte ein mittlerer arterieller Druck (MAP) von ca. 65 mmHg und ein systolischer arterieller Blutdruck von ca. 80 mmHg angestrebt werden.
- Bei Patienten (ohne kardiopulmonale Vorerkrankungen) im hämorrhagischen Schock erfolgt prä- und intraoperativ sowie bis 3 - 6 Stunden postoperativ eine Flüssigkeitstherapie mit einem Ziel-MAP von 65 mmHg.
- Bei der Kombination von hämorrhagischem Schock und Schädel-Hirn-Trauma (GCS < 9) und/oder spinalem Trauma mit neurologischer Symptomatik beträgt der Ziel-MAP 85 mmHg.
Quellen
Literatur
- Bickell et al. Immediate versus Delayed Fluid Resuscitation for Hypotensive Patients with Penetrating Torso Injuries. N Engl J Med; 1994
- Kursbuch Notfallmedizin, ISBN 9783769106138
- Operative Intensivmedizin: Sicherheit in der klinischen Praxis, ISBN 9783794524808
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