Dissoziative Identitätsstörung
Synonyme: multiple Persönlichkeitsstörung, multiple Persönlichkeit (obsolet)
Englisch: dissociative identity disorder, multiple personality disorder
Definition
Eine dissoziative Identitätsstörung, kurz DIS, ist eine Form der dissoziativen Konversionsstörungen. Der Patient weist mindestens zwei getrennte Persönlichkeiten auf, wobei zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur eine nachweisbar ist.
Nomenklatur
Die dissoziative Identitätsstörung wurde früher auch als multiple Persönlichkeit(sstörung) bezeichnet. Dieser Begriff findet noch Verwendung in der ICD-10-Klassifikation, sollte jedoch inzwischen nicht mehr verwendet werden.
Epidemiologie
In der Literatur wird die Prävalenz der Erkrankung in der Allgemeinbevölkerung mit 1 - 1,5 % angegeben. Sie ist weltweit vergleichbar. Das weibliche Geschlecht ist häufiger betroffen als das männliche. Eine DIS entsteht meist in der frühen Kindheitsphase. Ab dem 5. Lebensjahr nimmt die Prävalenz deutlich ab, was auf die zunehmende Hirnreife und die damit verbundenen Fähigkeiten (Auseinandersetzung mit bestimmten Situationen, Begreifen, Abstrahieren) verbunden ist.
Dissoziative Symptome finden häufig noch geringe Beachtung im diagnostischen Alltag. Daher wird die Störung wahrscheinlich seltener diagnostiziert, und die Häufigkeit der Diagnose ist im Gegensatz zur Prävalenz regional unterschiedlich.
Ätiopathogenese
Die genaue Ursache der dissoziativen Identitätsstörung ist derzeit (2020) unklar. Sie entwickelt sich meist auf dem Boden schwerer traumatischer Erlebnisse in der frühen Kindheit. Typische Auslöser sind Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch. Die schwer zu verarbeitenden psychischen Konflikte führen zu einer Dissoziation, die initial oft auf Körperempfindungen beschränkt ist. Beispielsweise werden Genitalbereich und die Bauchregion unempfindlich für Schmerz und Berührung. Im Verlauf kommt es zur Abspaltung ganzer Persönlichkeitsanteile. Es wird beschrieben als Verlassen des Körpers. Die unempfindliche Körperhülle wird zurückgelassen, während das Kind die Szene aus einer anderen Ecke des Raumes wahrnimmt. Es hat damit eine Persönlichkeit geschaffen, die unempfindlich für die Situation ist und diese aushält.
Von einigen Autoren wird die Existenz der Störung angezweifelt, oder sie ordnen die Symptome dem Bereich der Borderline-Persönlichkeitsstörung zu. Volkstümlich wird die Störung oft mit der Schizophrenie verwechselt.
Klinik
Die Persönlichkeiten unterscheiden sich in ihrem Wesen, ihrer Sprache, der Wahrnehmung der Umwelt, den Vorlieben und/oder dem Verhalten. Zudem müssen mindestens zwei der Persönlichkeiten wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen. In typischen Fällen hat keine Persönlichkeit Zugang zu den Erinnerungen der anderen und ist sich bisweilen auch nicht der Existenz der anderen bewusst.
Besonders auffallend sind die beschriebenen Amnesien ("Zeitverluste"), die von mehreren Minuten bis hin zu Monaten reichen können. Außerdem erscheinen die Patienten situativ geistig abwesend, was auf interne Persönlichkeitswechsel hinweisen kann.
Etwa ein Drittel der Patienten hat ausgeprägte und nach außen auffallende Persönlichkeitswechsel. Die übrigen zwei Drittel zeigen nach außen weniger stark differenzierte Persönlichkeiten, was als Eigenschutz des Gesamtsystems gewertet werden kann.
Diagnose
Die Diagnose der DIS erfolgt durch Erhebung der Eigen- und Fremdanamnese.
Differenzialdiagnosen
- Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Schizophrenie: Wahn, Halluzinationen
- Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): ähnliche Symptome
Therapie
Die Therapie der dissoziativen Identitätsstörung basiert primär auf einen psychotherapeutischen Ansatz zur Traumaverarbeitung und ggf. zur Integration von Persönlichkeitszuständen.
Eine spezifische medikamentöse Therapie gibt es derzeit (2020) nicht. Depressive Symptome können begleitend mit Antidepressiva (z.B. SSRIs) behandelt werden.
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