Kalkaneusfraktur
Synonyme: Calcaneusfraktur, Fersenbeinfraktur
Definition
Unter einer Kalkaneusfraktur versteht man einen Knochenbruch des Fersenbeins (Kalkaneus). Sie gehört zur Gruppe der Fußfrakturen.
Epidemiologie
Die Kalkaneusfraktur ist mit etwa 60 % der Fälle die häufigste Fraktur der Fußwurzelknochen. Sie macht rund 2 % aller Frakturen aus. Die Zahlen sind abhängig vom untersuchten Kollektiv. Bilaterale Frakturen treten in 10-15 % der Fälle auf. Häufig werden Begleitverletzungen im Bereich der Wirbelsäule beobachtet.
Ätiopathogenese
Kalkaneusfrakturen entstehen überwiegend durch hohe axiale Krafteinwirkung, typischerweise bei Stürzen aus großer Höhe oder bei Verkehrsunfällen. Die Kraft wird vom Talus auf den Calcaneus übertragen. Der Talus wirkt dabei als Keil, wodurch es insbesondere zur Impression der posterioren Facette des Subtalargelenks kommt.
Bei intraartikulären Frakturen resultiert daraus eine charakteristische Fragmentbildung mit einem relativ stabilen superomedialen Fragment (Sustentaculum-Fragment) und variabel dislozierten lateralen Fragmenten. Der Schweregrad der Fraktur wird durch Höhe und Richtung der axialen Kraft sowie die Fußstellung zum Unfallzeitpunkt bestimmt.
Extraartikuläre Frakturen entstehen durch indirekte oder direkte Gewalteinwirkung ohne Beteiligung der posterioren Subtalargelenkfacette. Dazu zählen insbesondere Avulsionsfrakturen des Tuber calcanei infolge starken Zuges der Achillessehne sowie Frakturen des Processus anterior bei Supinations-/Inversionstrauma.
Morphologisch können intraartikuläre Frakturen als "Joint-Depression-Typ" mit primärer Impression der posterioren Facette oder als "Tongue-Typ" mit horizontal verlaufender Frakturlinie bis in den Tuber calcanei auftreten. Sekundäre Fragmentverschiebungen sind durch fortgesetzte Krafteinwirkung möglich.
Stressfrakturen des Calcaneus entstehen durch repetitive Überlastung und betreffen bevorzugt den posterosuperioren Anteil des Knochens. Sie sind pathogenetisch von akuten Traumafrakturen abzugrenzen.
Einteilung
...nach Gelenkbeteiligung
Extraartikuläre Frakturen (ca. 25–30 %):
- Processus anterior calcanei
- Avulsionsfraktur des Tuber calcanei
- Sustentaculum-tali-Fraktur
- Kalkaneuskörperfraktur ohne Subtalargelenkbeteiligung
Intraartikuläre Frakturen (ca. 70–75 %):
- Frakturen des Kalkaneuskörpers mit Beteiligung der posterioren Subtalargelenkfacette
Der historisch verwendete Begriff der "lover’s fracture" bezeichnet eine intraartikuläre Fraktur nach Sturz aus Höhe und besitzt keine eigenständige klassifikatorische Bedeutung.
...nach Morphologie (nach Essex-Lopresti)
- Joint-Depression-Typ: Impression der posterioren Facette ohne tuberöse Ausziehung
- Tongue-Typ: Frakturlinie reicht bis in den Tuber calcanei mit potenzieller dorsokranialer Dislokation
... nach Sanders
Die Sanders-Klassifikation ist die klinisch und wissenschaftlich am häufigsten verwendete Einteilung intraartikulärer Kalkaneusfrakturen. Sie basiert auf parakoronaren CT-Schichten durch die posteriore Facette des Subtalargelenks und unterscheidet nach Anzahl, Lage und Dislokation der intraartikulären Frakturlinien:
- Typ I: nicht dislozierte Fraktur (< 2 mm), unabhängig von Zahl der Frakturlinien bzw. der Fragmente
- Typ II: eine intraartikuläre Frakturlinie, zwei Gelenkfragmente. Die primäre Frakturlinie weist häufig eine Y-förmige Konfiguration mit Ausläufern nach medial und lateral auf. Zusätzliche Frakturlinien ohne Beteiligung der posterioren Facette können vorliegen.
- Typ IIa: Frakturlinie durch lateralen Anteil der posterioren Facette
- Typ IIb: Frakturlinie durch zentralen Anteil der posterioren Facette
- Typ IIc: Frakturlinie durch medialen Anteil der posterioren Facette; häufig kombiniert mit einer transversalen Fraktur durch den Kalkaneuskörper
- Typ III: zwei intraartikuläre Frakturlinien, drei Gelenkfragmente. Typischerweise besteht eine Impression des zentralen Gelenkfragments. Begleitende extraartikuläre Frakturlinien sind möglich.
- Typ IIIab: laterale + zentrale Frakturlinie
- Typ IIIac: laterale + mediale Frakturlinie
- Typ IIIbc: zentrale + mediale Frakturlinie
- Typ IV: Mehrfragmentäre intraartikuläre Trümmerfraktur mit drei oder mehr primären Frakturlinien und > 2 mm Dislokation. Diese Fraktur weist die ungünstigste Prognose auf.
Die Sanders-Klassifikation besitzt prognostische Relevanz und beeinflusst maßgeblich die therapeutische Strategie.
Klinik
Leitsymptome sind starke Schmerzen, Belastungsunfähigkeit, deutliche Schwellung und Hämatombildung des Rückfußes. Ein plantarseitiges Hämatom (Mondor-Zeichen) ist hinweisend auf eine Kalkaneusfraktur. Häufig besteht eine Verbreiterung und Achsfehlstellung des Rückfußes.
Diagnostik
Anamnese und Unfallmechanismus sind wegweisend. Die klinische Untersuchung umfasst obligat die Prüfung von Durchblutung, Motorik und Sensibilität. Aufgrund des typischen Verletzungsmechanismus ist gezielt nach Begleitverletzungen, insbesondere der Wirbelsäule, des Beckens und der unteren Extremität, zu suchen.
Radiologie
Röntgen
Die initiale Bildgebung erfolgt mittels konventioneller Röntgendiagnostik. In vielen Fällen wird die Fraktur bereits in einer seitlichen Sprunggelenksaufnahme erkannt. Empfohlen wird weiterhin eine spezielle Kalkaneus-Röntgenserie mit seitlicher Aufnahme des Rückfußes sowie axialer (plantodorsaler) Darstellung.
Zur Beurteilung der Frakturschwere dienen etablierte Winkelmessungen. Der Böhler-Winkel (normal etwa 20–40°) ist bei intraartikulären Frakturen häufig abgeflacht oder negativ und korreliert mit dem Ausmaß der Impression der posterioren Gelenkfacette. Der Gissane-Winkel kann ebenfalls verändert sein und unterstützt die Frakturdiagnose. Beide Parameter haben prognostische Bedeutung.
Bei intraartikulären Kalkaneusfrakturen sollte das Röntgen des Sprunggelenks gezielt auf das Fleck-Zeichen untersucht werden. Dabei handelt es sich um ein kleines avulsiertes Knochenfragment am Malleolus lateralis als Hinweis auf eine Abrissverletzung des Retinaculum musculorum peroneorum superius.
Aufgrund der limitierten Darstellung komplexer Frakturmorphologien ist das Röntgen für die vollständige Frakturanalyse häufig nicht ausreichend. Die weiterführende Diagnostik erfolgt in der Regel mittels Computertomographie.
Computertomographie
Die CT ist das Verfahren der Wahl zur vollständigen Frakturanalyse. Sie erlaubt die sichere Differenzierung zwischen extra- und intraartikulären Frakturen, die Beurteilung der Gelenkflächen sowie die präoperative Planung. Intraartikuläre Frakturen werden am häufigsten nach der Sanders-Klassifikation eingeteilt. Zusätzlich können Weichteilbefunde wie plantare Hämatome dargestellt werden.
Therapie
Konservative Therapie
Indiziert bei nicht oder minimal dislozierten Frakturen, extraartikulären Frakturen ohne relevante Achs- oder Höhenminderung sowie bei Patienten mit relevanten Operationskontraindikationen. Sie umfasst initiale Hochlagerung, Abschwellung, Ruhigstellung und anschließend eine funktionelle Mobilisation unter Entlastung.
Perkutan-operative (minimal-invasive) Therapie
Bei instabilen Frakturen mit Kontraindikationen für eine Operation oder bei ausgewählten Frakturtypen möglich. Die Stabilisierung erfolgt minimalinvasiv, häufig mittels Kirschner-Drähten oder Schrauben, mit anschließender Entlastung über mehrere Wochen.
Operative Therapie
Indiziert bei dislozierten intraartikulären Frakturen sowie bei extraartikulären Frakturen mit signifikanter Fehlstellung. Ziel ist die anatomische Wiederherstellung der Gelenkflächen, der Kalkaneushöhe, -länge und -achse, meist mittels Plattenosteosynthese. Eine Spongiosaplastik kann bei ausgeprägten Impressionsdefekten erforderlich sein.
Prognose
Die Prognose hängt wesentlich vom Ausmaß der Gelenkbeteiligung und der anatomischen Reposition ab. Posttraumatische Arthrosen des Subtalargelenks sind häufige Langzeitfolgen, insbesondere nach intraartikulären Frakturen. Funktionelle Einschränkungen und chronische Schmerzen sind nicht selten.