Isotherme Titrationskalorimetrie
Englisch: isothermal titration calorimetry, ITC
Definition
Die isotherme Titrationskalorimetrie, kurz ITC, ist eine biophysikalische Analysemethode, mit der die thermodynamischen Parameter von molekularen Wechselwirkungen in Lösungen bestimmt werden. Sie misst die während einer Titration freigesetzte oder aufgenommene Wärme und ermöglicht so die direkte Bestimmung von Bindungskonstanten, Reaktionsenthalpien und -entropien.
Funktionsprinzip
Ein ITC-Gerät besteht aus zwei identischen Zellen, einer Referenzzelle und einer Probenzelle. Diese sind adiabatisch von ihrer Umgebung abgeschirmt und aus thermisch leitenden Materialien gefertigt.
- Die Probenzelle enthält die zu untersuchende Lösung (z.B. Protein).
- In kleinen Schritten wird eine titrierende Lösung (z.B. Ligand) über eine Hamilton-Spritze hinzugefügt.
- Die dabei entstehende exotherme oder endotherme Reaktion verändert die Temperatur der Probenzelle.
- Ein empfindlicher Thermosensor misst die Wärmemenge und ein Heizelement an der Referenzzelle (Peltier-Element) hält beide Zellen isotherm.
- Die registrierte Wärmeströmung wird über die Titrationskurve in thermodynamische Parameter umgerechnet.
Auswertung
Aus einer einzelnen ITC-Messung kann eine Kurve abgeleitet werden, anhand derer drei Werte direkt abgelesen werden:
- Reaktionsenthalpie (ΔH): Sie entspricht der Höhe der Kurve, also der insgesamt freigesetzten bzw. aufgenommenen Wärme
- Assoziationskonstante (Ka): Sie entspricht der Steigung der Wendetangenten, also der Tangente, die durch den Wendepunkt geht.
- Stöchiometrie: Das stöchiometrische Verhältnis der Reaktion kann an der Lage des Wendepunktes abgelesen werden. Das Verhältnis ergibt sich aus der Stoffmengenkonzentration des Liganden am Wendepunkt und der Stoffmengenkonzentration des Proteins.
Aus den so ermittelten Werten können durch die Gibbs-Helmholtz-Gleichung auch Reaktionsentropie (ΔS) und freie Enthalpie (ΔG) berechnet werden.
- R: allgemeine Gaskonstante
- T: Temperatur
- Ka: Bindungs- bzw. Assoziationskonstante
- ΔH: Enthalpie
- ΔS: Entropie
Vor- und Nachteile
ITC ist einzigartig in ihrer Möglichkeit, mehrere verschiedene thermodynamische Eigenschaften aus einer Messung zu bestimmen. Somit verringert sich die Anzahl an notwendigen Analysemethoden.
Nachteil der ITC ist der aufwändige Versuchsaufbau. ITC-Geräte sind teuer in der Anschaffung und sehr empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen. Schon leichte Vibrationen des Bodens, z.B. durch Bauarbeiten in einem benachbarten Raum, können die Messergebnisse beeinflussen. Darüber hinaus ist die Etablierung aufwändig, da zahlreiche Bedingungen getestet werden müssen, um ein robustes Versuchsprotokoll zu erarbeiten.
Anwendung
In Medizin und Pharmazie wird die ITC vor allem in der Arzneimittelentwicklung eingesetzt. Mit dieser Methode lassen sich verschiedene Liganden hinsichtlich ihrer Affinität vergleichen. Somit kann auch der Einfluss unterschiedlicher Strukturelemente einer Verbindung auf die Interaktion untersucht werden. Da ITC halbautomatisiert durchgeführt werden kann, eignet sie sich auch für das Screening mehrerer Testverbindungen, wie es beispielsweise beim fragmentbasierten Wirkstoffdesign üblich ist.
Außerhalb der Wirkstoffforschung kann ITC zur Bestimmung von Enzymkinetiken und der Erforschung von Protein-Protein-Interaktionen eingesetzt werden. Darüber hinaus findet ITC Anwendung in der Chemie und Nanotechnologie.