Dysgrammatismus
Synonyme: Grammatikstörung, grammatikalische Sprachstörung, morpho-syntaktische Störung, Störung der Satzbildung
Englisch: dysgrammatism, grammar disorder, morphosyntactic disorder
Definition
Der Dysgrammatismus bezeichnet eine Störung des grammatikalischen Sprachsystems, die durch eine beeinträchtigte Anwendung morphologischer und syntaktischer Regeln gekennzeichnet ist. Betroffene zeigen Fehler in der Wort- und Satzbildung. Dies zeigt sich im Gebrauch von Artikeln, Präpositionen oder in der Satzstruktur.
Linguistischer und neuropsychologischer Hintergrund
Grammatik beschreibt die Regeln, nach denen Wörter und Sätze gebildet werden. Sie umfasst die Wortbildung und den Satzbau. In der normalen Sprachentwicklung lernen Kinder diese Regeln schrittweise: Zuerst bilden sie einfache Sätze und entwickeln dann nach und nach komplexere Strukturen mit richtiger Verbform, Satzstellung und Funktionswörtern wie Artikeln oder Präpositionen. Beim Dysgrammatismus ist dieser Erwerbsprozess gestört, was zu Problemen bei der Bildung grammatisch korrekter Sätze führt.
Ätiologie
Mögliche Ursachen umfassen eine eingeschränkte auditive Verarbeitung, eine reduzierte Kapazität des Arbeitsgedächtnis oder generelle Defizite in der sprachlichen Verarbeitung. Neurolinguistisch betrachtet, betrifft die Störung insbesondere die morphosyntaktische Verarbeitung in den sprachdominanten Arealen (v.a. Broca- und Wernicke-Areal) des Gehirns.
Dysgrammatismus kann sowohl im Rahmen einer allgemeinen Sprachentwicklungsstörung als auch bei erworbenen Sprachstörungen, wie z.B. nach einem Schlaganfall auftreten.
Klinik
Das klinische Erscheinungsbild des Dysgrammatismus variiert je nach Ausprägungsgrad und individuellem Sprachentwicklungsstand. Typische Symptome umfassen Fehler in der Morphologie und Syntax, insbesondere in der Kasusmarkierung, Verbflexion und Satzkomplexität.
Formen
| Form | Beschreibung | Assoziierte Störungen |
|---|---|---|
| Agrammatismus | Vereinfachte, „telegrammstilartige“ Sprache ohne grammatische Wörter oder Flexionen | Broca-Aphasie |
| Paragrammatismus | Ersatz und Fehlgebrauch grammatischer Elemente, oft mit flüssiger, aber fehlerhafter Sprache | Wernicke-Aphasie |
| Gemischt/Variabel | Unregelmäßige oder inkonstante grammatische Fehler, die weder Agrammatismus noch Paragrammatismus eindeutig zugeordnet werden können | Psychogene Sprachstörungen |
Diagnostik
Die Diagnostik des Dysgrammatismus erfolgt anhand standardisierter Testverfahren (z. B. LiSe-DaZ, SET 5-10, TROG-D, PDSS) und qualitativer Spontansprachanalysen zur Erfassung morphosyntaktischer Auffälligkeiten. Dabei werden auch Sprachverständnis, auditives Arbeitsgedächtnis und Mehrsprachigkeit berücksichtigt.
Differentialdiagnosen
Vom Dysgrammatismus abzugrenzen sind artikulatorische Störungen, lexikalische Störungen sowie mehrsprachige Erwerbsbesonderheiten.
Therapie
Ziel der Dysgrammatismustherapie ist der Aufbau, die Festigung und Automatisierung grammatischer Strukturen im Sprachverständnis und in der Spontansprache. Die Therapie sollte regelmäßig und in klar strukturierten, altersgerechten Einheiten durchgeführt werden. Sie umfasst meist drei Phasen:
- Inputphase: Aufbau von Sprachverständnis durch Modellierung und Wahrnehmung korrekter Strukturen
- Übungsphase: Aktive Anwendung der Zielstruktur in gelenkten Situationen
- Transferphase: Nutzung der erlernten Formen in freier Kommunikation
Eine enge Einbindung der Eltern in den Therapieprozess spielt eine zentrale Rolle für den Behandlungserfolg.
Voraussetzungen für die Therapie sind eine ausreichende Entwicklung von Wortschatz, Artikulation und Sprachverständnis. Ist dies nicht gegeben, sollte zunächst eine grundlegende sprachliche Förderung erfolgen, bevor gezielte grammatische Interventionen eingeleitet werden.
Methoden
| Therapieform | Kurzbeschreibung |
|---|---|
| Modellerlernen und korrektives Feedback | Bereitstellung korrekter Satzmuster in natürlichen Gesprächssituationen. Grammatikfehler werden nicht direkt korrigiert, sondern modellhaft reformuliert (z.B. Kind: „Hund rennen schnell“ – Therapeutin: „Ja, der Hund rennt schnell.“). |
| Strukturiertes Üben grammatischer Formen | Gezielte Übungssequenzen zu bestimmten grammatischen Zielbereichen (z.B. Verbflexion, Pluralbildung, Kasus); Einsatz visueller, auditiver oder motorischer Hilfen wie Symbolkarten oder Handlungsbegleitung |
| Grammatiktherapie nach dem patholinguistischen Ansatz (PLAN) | Evidenzbasiertes Konzept zur Behandlung grammatischer Störungen. Förderung des Regelaufbaus durch strukturierte Input- und Übungsphasen, orientiert am individuellen Sprachstand; Ziel ist die Festigung der Strukturen in der Spontansprache |
| Kontrastive und metasprachliche Verfahren | Förderung des Bewusstseins für grammatische Strukturen durch Vergleich und Reflexion korrekter und fehlerhafter Formen; Besonders geeignet für ältere Kinder oder späte Therapiephasen. |
| Funktionale Einbettung | Anwendung und Festigung grammatischer Strukturen in alltagsnahen Kommunikationssituationen zur Förderung des Sprachtransfers. |
Quellen
- Cholewa und Schrey-Dern, Morphologie und Syntax bei Sprachentwicklungsstörungen: Ein wichtiges Themenfeld in der Logopädie, Sprache · Stimme · Gehör, 2025
- dbl-ev.de - Kindersprachstörungen und ihre Therapie, abgerufen am 11.11.2025
- Siegmüller und Beier, Kindersprachstörungen und ihre Therapie. In Forum Logopadie, 2015
- AWMF - S3-Leitlinie Therapie von Sprachentwicklungsstörungen, Stand 2022
- Kauschke und Siegmüller, Materialien zur Therapie nach dem Patholinguistischen Ansatz (PLAN): Handbuch zum Therapiematerial Syntax und Morphologie, 1. Auflage, Elsevier Health Sciences, 2021
- Mendez, Non-Neurogenic Language Disorders: A Preliminary Classification, Psychosomatics, 2018