Abdecktest
Synonyme: Cover Test, Cover-Test, einseitiger Abdecktest, Ab- und Aufdecktest, Cover-Uncover-Test
Englisch: cover test, cover-uncover test
1. Definition
Der Abdecktest ist eine Untersuchungsmethode in der Augenheilkunde. Er dient der Diagnose von Strabismus (Schielerkrankungen) und Binokularstörungen.
2. Hintergrund
Zur orientierenden Untersuchung des Strabismus wird häufig der Hirschberg-Test angewendet. Dabei wird die Position des Lichtreflexbildchens evaluiert, das eine Lichtquelle auf der Hornhaut erzeugt. Physiologischerweise ist die Lage der Lichtreflexe an beiden Augen seitengleich. Ist der Reflex jedoch nicht symmetrisch, sondern verschoben, kann auf ein Schielen geschlossen werden. Der Abdecktest ist im Vergleich zum Hirschberg-Test jedoch präziser. Er dient der Beurteilung des Augenmuskelgleichgewichts und ermöglicht die Differenzierung zwischen manifestem Strabismus (Heterotropie) und latenten Schielstellungen (Heterophorie). Darüber hinaus ist er essenziell zur Beurteilung von Fixationsverhalten und Suppression.
3. Physiologie
Die motorische Koordination beider Augen erfolgt durch die extraokulären Muskeln, die von den Hirnnerven III, IV und VI gesteuert werden. Eine korrekte Augenstellung setzt voraus, dass:
- Die Augenmuskeln synergistisch zusammenarbeiten.
- Die Fusion (Koordination beider Sehachsen im Gehirn) intakt ist.
- Kein Sehfehler vorliegt, der zu kompensatorischen Augenbewegungen führt.
Ein Ungleichgewicht in diesen Mechanismen kann zu Strabismus oder Phorien führen, was durch den Abdecktest sichtbar gemacht werden kann.
4. Durchführung
Es existieren verschiedene Varianten des Abdecktests.
4.1. Einseitiger Abdecktest
Der einseitige Abdecktest, auch Cover-Uncover-Test genannt, dient der Feststellung manifester Schielstellungen (Heterotropie), bei denen ein Auge in eine abnormale Position abweicht, sobald das Partnerauge fixiert. Er wird wie folgt durchgeführt:
- Der Patient fixiert ein fernes oder nahes Objekt.
- Ein Auge wird für mehrere Sekunden abgedeckt, während das nicht abgedeckte Auge beobachtet wird.
- Nach Entfernen der Abdeckung wird das zuvor abgedeckte Auge auf Einstellbewegungen untersucht.
Interpretation:
- Keine Bewegung: Orthotropie
- Korrekturbewegung des nicht abgedeckten Auges: Manifestes Schielen liegt vor (Esotropie, Exotropie, Hypertropie, Hypotropie).
- Korrekturbewegung des abgedeckten Auges nach Entfernung der Abdeckung: Ein alternierendes Schielen besteht.
4.2. Alternierender Abdecktest
Der alternierende Abdecktest, auch alternierender Cover-Test genannt, dient der Erkennung latenter Schielstellungen (Heterophorien) und der Messung der gesamten Augenabweichung. Er wird wie folgt durchgeführt:
- Der Patient fixiert ein Objekt.
- Die Abdeckung wechselt rasch zwischen beiden Augen, ohne binokulares Sehen zuzulassen.
- Das gerade aufgedeckte Auge wird auf Einstellbewegungen untersucht.
Interpretation:
- Keine Bewegung: keine Phorie vorhanden.
- Einstellbewegung beim Aufdecken: Heterophorie vorhanden
- Bewegung von außen nach innen: Exophorie (latentes Außenschielen).
- Bewegung von innen nach außen: Esophorie (latentes Innenschielen).
- Vertikale Bewegung: Hyperphorie/Hypophorie (vertikale Fehlstellung).
4.3. Prismen-Abdecktest
Der Prismen-Abdecktest dient der Quantifizierung von Augenabweichungen in Dioptrien (PD, Prismendioptrien). Dabei wird ein Prismenbalken über das abgedeckte Auge gelegt. Die Prismenzahl wird schrittweise erhöht, bis keine Einstellbewegung mehr sichtbar ist. Der Test wird vor allem zur präzisen Messung bei Verdacht auf Strabismus oder zur Verlaufskontrolle nach Operationen eingesetzt.
4.4. Modifizierter Abdecktest
Der modifizierte Abdecktest ermöglicht die Ermittlung der Distanzabhängigkeit von Schielstellungen. Dabei wird auf 6 m (Fernfixation) und 33 cm (Nahfixation) getestet. Die Differenz der Schielwinkel gibt Hinweise auf akkommodative Exophorien oder Esophorien.
5. Spezielle Befunde
- Intermittierende Exophorie: Zeigt sich oft nur bei Müdigkeit oder reduzierter Fusion.
- Esophorie bei Nahfixation: Kann auf eine akkommodative Konvergenzanomalie hinweisen.
- Vertikale Abweichungen: Hinweis auf paretische Schielerkrankungen, z.B. Trochlearisparese.
- Mikrostrabismus: Kann durch sehr kleine Einstellbewegungen detektiert werden, die nur mit Prismentest sichtbar sind.
6. Anwendung
Die Früherkennung von Schielerkrankungen ist besonders im Kindesalter von großer Bedeutung, um die Entwicklung einer Amblyopie zu verhindern. Nach der Diagnose ist die Festlegung einer geeigneten Behandlungsstrategie entscheidend. Bei akkommodativem Schielen kann eine Brillenkorrektur erforderlich sein, während Prismenbrillen zur Behandlung von Heterophorien eingesetzt werden. Orthoptische Übungen dienen der Verbesserung der Fusion. In Fällen von manifestem Schielen oder dekompensierter Heterophorie kann eine Schieloperation notwendig sein. Regelmäßige Verlaufskontrollen sind wichtig zur Bewertung der Schielprogression oder zur Beurteilung postoperativer Ergebnisse.
7. Vorteile
Der Abdecktest ist ein schneller und einfach durchzuführender Test, der keine spezielle Ausrüstung erfordert.
8. Nachteile
Der Test erfordert eine gewisse Kooperation des Patienten, was insbesondere bei jüngeren Kindern oder bei Patienten mit eingeschränkter Kooperationsfähigkeit eine Herausforderung darstellen kann. Darüber hinaus gibt es weitere Limitierungen. So kann es bei Patienten mit Suppressionsphänomenen zu Fehlinterpretationen kommen, da in solchen Fällen keine Einstellbewegung beobachtet wird. Zudem können starke Kompensationsmechanismen durch eine ausgeprägte Fusion kleine Phorien maskieren und somit das Testergebnis verfälschen. Bei intermittierendem Strabismus oder bei der Dekompensation latenter Schielstellungen sind daher ergänzend dynamische Tests erforderlich, um ein umfassenderes Bild der Schielproblematik zu erhalten.
9. Literatur
- Augenheilkunde, Gerhard Lang, Thieme Verlag
- Duke-Elder, S., & Wybar, K. (1961). System of Ophthalmology. Volume 7: Strabismus. St. Louis: Mosby.
- Von Noorden, G. K., & Campos, E. C. (2002). Binocular Vision and Ocular Motility: Theory and Management of Strabismus. 6th edition. St. Louis: Mosby.
- Holmes, J. M., & Hatt, S. R. (2006). Pediatric Strabismus: A Review of Diagnosis and Treatment. American Journal of Ophthalmology, 141(1), 1-8.