Gen
von griechisch: genesis - Entstehung
Synonyme: Erbeinheit, Erbfaktor, Erbanlage
Englisch: gene
Definition
Als Gen bezeichnet man eine Einheit der im Erbgut von Lebewesen enthaltenen Erbinformation, die zur Bildung aller zellulären und extrazellulären Proteine und RNA-Moleküle einer Zelle dient und in veränderter oder unveränderter Form durch Reproduktion an Tochtergenerationen weitervererbt wird.
Struktur
Chemischer Aufbau
Alle Gene sind Bestandteil der in allen lebenden Organismen vorliegenden Nukleinsäure und setzen sich aus einer Nukleinsäurekette zusammen, auf der die Information für alle Genprodukte in Form einer bestimmten Sequenz der vier Nukleinbasen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin.
In den meisten Organismen liegt die Gesamtheit aller Gene, das Genom, als Desoxyribonukleinsäurekette (DNS) vor, in einigen Viren als Ribonukleinsäure (RNS).
Zellbiologischer Aufbau
Die Gene von Eukaryonten liegen auf langen Nukleinsäureketten vor, die zu Chromosomen kondensieren können und sich üblicherweise im Zellkern befinden; dagegen weisen Prokaryonten und Viren keine Aufteilung des Zellinneren in Organellen und Kompartimente auf.
Das bakterielle Genom liegt als einzelnes, ringförmiges Chromosom vor, daneben können auch extrachromosomale Gene auf sogenannten Plasmiden, kleinen ringförmigen Nukleinsäuremolekülen, existieren und zwischen Bakterien ausgetauscht werden.
Virale Gene können als einzel- oder doppelsträngige DNA- oder RNA-Moleküle vorliegen, die mit verschiedenen Nukleokapsid-Proteinen assoziiert sind und von einem Kapsid eingeschlossen werden.
Genetischer Aufbau
Die meisten Gene haben einen Bauplan, der einem allgemeinen Prinzip folgt. Die eigentlichen kodierenden Abschnitte eines Gens, die in RNA transkribiert und später in die benötigten Proteine translatiert werden, weisen an ihrem 5'-Ende regulatorische Segmenten, sogenannten cis-acting elements, auf, die als Promotoren, Enhancer und Silencer die Transkription dieser Gene regeln.
Während bei Bakterien Gene aus einer komplett kodierenden Nukleinsäurekette bestehen, die teilweise auch Informationen für andere Genprodukte enthält (polycistronischer Aufbau), sind die meisten Gene bei höheren Lebewesen von nicht kodierenden Abschnitten, den Introns unterbrochen; die eigentlich kodierenden Abschnitte eines Gens werden deshalb als Exons bezeichnet.
Funktion
Die Replikation und Transkription von Genen unterliegt einer komplexen Regulation. Die verschiedenen, einem Gen vorgeschalteten Regulationssequenzen sind in der Lage, diverse Transkriptionsfaktoren zu binden, die das Ablesen eines Genes kurzfristig entweder initiieren, fördern oder verhindern beziehungsweise vermindern. Daneben kann ein Gen langfristig durch Kondensation, also Bindung an Histon-Proteine und massive Spiralisierung, oder durch Methylierung inaktiviert beziehungsweise bei Bedarf durch entsprechende Demethylierung oder Entspiralisierung reaktiviert werden..
Die Transkription erfolgt durch verschiedene DNA-abhängige RNA-Polymerasen, die ein Gen in 5'-3'-Richtung in RNA transkribieren und so durch Bildung von mRNA-Molekülen die Proteinbiosynthese einleiten. Jeweils drei Nukleotide der DNA (Triplett) speichern dabei die Information für eine Aminosäure des entstehenden Proteins.
Die Replikation von Genen erfolgt in der Mitose durch das Auseinanderbrechen des DNA-Doppelstranges und die semikonservative Verdopplung der Nukleinsäuremenge durch DNA-Polymerasen. Auch die Mitose unterliegt als Bestandteil des Zellzyklus einer aufwändigen Regulation.
Pseudogene
Es wird vermutet, dass die eigentlichen transkribierbaren Gene nur etwa 5 - 10% des menschlichen Genoms ausmachen. Neben den regulatorischen Sequenzen befindet sich in den nichttranskribierten Regionen auch eine Zahl von sogenannten Pseudogenen, die nicht für funktionierende Proteine kodieren; sie wird auf bis zu 20 000 geschätzt.
Über die Entstehung von Pseudogenen existieren mehrere Hypothesen; möglicherweise wurden einzelne Gene durch Mutationen so verändert, dass sie nicht weiter in funktionsfähige Genprodukte transkribiert werden konnten. Aber auch ein Verlust der Funktion im Bereich der regulatorischen Sequenzen mit der Konsequenz einer fehlenden Ablesbarkeit wird diskutiert.
Genregulation
Entgegen der früheren Lehrmeinung, dass jedes Gen für ein bestimmtes Protein (oder RNA-Molekül als Genprodukt) kodiert und jedes Produkt sein eigenes Gen hat, sind Zellen in der Lage, weit mehr Proteine zu synthetisieren als sie Gene besitzen.
Für dieses Phänomen konnten bisher zwei Gründe identifiziert werden:
- Bereits auf DNA-Ebene existiert die Möglichkeit, durch Hypermutationen, Gen-Rearrangement und gezielte Punktmutationen eine extrem große Zahl von Genprodukten mit einer relativ geringen Anzahl von Genen herzustellen. Diese Mechanismen werden beispielsweise bei der Synthese von Antikörpern oder Immunrezeptoren durch immunkompetente Zellen höherer Lebewesen genutzt.
- Durch sogenanntes alternatives Splicing können verschieden lange Abschnitte der Nukleinsäure aus der mRNA herausgeschnitten und die Matrize für die Proteinbiosynthese so gezielt modifiziert werden. Damit lassen sich eine Reihe von ähnlichen Proteinen von demselben Gen kodieren. Die Information für das alternative Splicing trägt die mRNA üblicherweise im Bereich der nicht kodierenden Abschnitte (Introns) mit sich.
Genlokalisation
Normalerweise lässt sich jedem Gen ein distinkter Ort innerhalb der Nukleinsäure zuordnen. Unter bestimmten Bedingungen jedoch sind Gene auch in der Lage, in andere Abschnitte des Genoms übertragen zu werden.
- Während der Meiose kann es zum Crossover von Chromosomenarmen verschiedener Chromosomen kommen, wobei die DNA-Doppelstränge brechen und sich auf das jeweils andere Chromosom übertragen lassen können. Die Gene auf dem entsprechenden Arm befinden sich damit auf einem anderen Chromosom und werden an ihrem neuen Ort weitervererbt.
- Innerhalb des Zytoplasmas von Bakterien existieren Enzyme, sogenannte Transposasen, die Genabschnitte zwischen zwei Bereichen des bakteriellen Chromosoms oder zwischen Chromosom und Plasmiden austauschen können. Auf diese Weise sind Bakterien in der Lage, die Gene von aufgenommenen Plasmiden in ihr Genom zu übertragen oder ihre Gene über Plasmide an andere Bakterienzellen weiterzugeben.
Genmutationen
Wie alle chemischen Makromoleküle ist auch die DNA empfindlich gegenüber Energie, die in der Lage ist, Bindungen zu spalten oder umzuformen. Die Zufuhr solcher Energie, vor allem Teilchenstrahlung (beispielsweise Alphastrahlung) oder elektromagnetische Strahlung (beispielsweise Röntgenstrahlung oder UV-Licht) kann daher zu Veränderungen in der Konformation und Bindungszusammensetzung der Nukleinsäurekette führen.
Diese Veränderungen werden als Mutationen bezeichnet. Konsequenzen solcher Mutationen treten dann auf, wenn die Veränderungen sich im Bereich von kodierenden Genabschnitten befinden. Zwar weisen die meisten eukaryontischen Zellen Reparaturmechanismen auf, um solche Energieschäden zu beheben, aber nicht immer kommt es dabei zur kompletten Behebung des Schadens. Folge kann der Verlust der Funktion des betroffenen Genprodukts oder die Transformation dieser Funktion sein.
Veränderte Genprodukte, die an der Regulation von Teilungsverhalten und Proliferation beteiligt sind, können damit zur Unkontrollierbarkeit dieser Vorgänge und zur malignen Entartung der betroffenen Zellen führen.
Genvariationen
Durch Veränderungen in der Gensequenz einzelner Individuen (beispielsweise durch Meiose oder Mutationen) kommt es mit der Zeit zum Auftreten von leicht veränderten Genen und Genprodukten. Diese Varianten bezeichnet man als Allele oder genetische Polymorphismen.
Diese Eigenschaft einer Population, Individuen mit unterschiedlichem Erbgut aufzuweisen, bezeichnet man als genetische Variabilität. Neben Mutationen stellen hierbei auch die Partnerwahl und die Vererbung verschiedener Allele einen wichtigen Faktor dar.
Typische Genomgrößen
Das menschliche Genom weist nach aktuellen (2004) Schätzungen zwischen 30 000 und 50 000 Gene auf, dagegen können einige Pflanzen oder auch niedere Tiere weit mehr als 50 000 Gene besitzen; die früher angenommene Hypothese, dass die Anzahl von Genen eines Organismus mit seiner Entwicklungsstufe korreliert, ist also nicht korrekt.
Im Folgenden sind exemplarisch typische Genomgrößen aufgeführt:
Organismus | Anzahl der Gene | Anzahl der Basenpaare |
---|---|---|
Pflanzen | <50000 | <1011 |
Mensch | 35000 | 3x109 |
Fliegen | 12000 | 1.6x108 |
Pilze | 6000 | 1.3x107 |
Bakterien | 500-6000 | 107 |
Mycoplasma genitalium | 500 | 106 |
DNA-Viren | 10-300 | 5000-200.000 |
RNA-Viren | 1-25 | 1000-23.000 |
Viroide | 0-1 | ~500 |
Prionen | 0 | ;0 |
(Tabelle modifiziert nach Wikipedia)