Hirnabszess
Synonyme: intrazerebraler Abszess, Encephalitis purulenta
Englisch: brain abscess
Definition
Ein Hirnabszess ist eine abgekapselte Entzündung des Gehirns, die durch Bakterien oder Fremdkörper ausgelöst wird und zum Untergang von Hirngewebe mit anschließender Gewebseinschmelzung führt.
Epidemiologie
Die Inzidenz des Hirnabszesses beträgt etwa 0,4 auf 100.000 Einwohner. Der Häufigkeitsgipfel liegt bei Kindern zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr, bei Erwachsenen im 3. Lebensjahrzehnt.
Ätiopathogenese
Hinsichtlich ihrer Ätiologie und der Lokalisation unterscheidet man:
- fortgeleitete Hirnabszesse
- traumatisch bedingte Hirnabszesse
- hämatogene Hirnabszesse
Fortgeleitete Hirnabszesse
Sie sind mit ca. 30-60% die häufigsten intrazerebralen Abszesse und gehen von bakteriellen Entzündungen in den Pneumatisationsräumen aus, die der Schädelhöhle benachbart sind. Typischerweise entstehen sie auf der Grundlage einer Otitis media, einer Mastoiditis oder einer Rhinosinusitis. Die solitären Abszessherde sind im Frontal- oder Temporallappen zu finden.
Traumatisch bedingte Hirnabszesse
Sie werden durch pyogene Erreger ausgelöst, die nach offenem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) in das Hirnparenchym gelangen. Sie stellen mit ca. 20-30% die zweithäufigste Gruppe der Hirnabszesse dar. Zunächst entwickelt sich ein noch unorganisierter Frühabszess oder eine Hirnphlegmone. Der bekapselte Spätabszess kann sich noch nach einer Latenz von Jahren bis Jahrzehnten ausbilden.
Hämatogene Hirnabszesse
Sie sind häufig multipel und an der Mark-Rinden-Grenze zu finden. Die Erreger sind meist grampositive Kokken, die auf dem Blutweg (hämatogen) aus eitrigen Pneumonien, infizierten Bronchiektasen oder einer Endokarditis gestreut werden. Eine vorbestehender Immundefekt, oder eine Vorbehandlung mit Erreger-unwirksamen Antibiotika, erleichtert die Abszessentstehung.
Symptomatik
Die Symptomatik des Hirnabszesses ist sehr wechselhaft und abhängig von der Lokalisation des Herdes. Allgemeine Entzündungszeichen wie Fieber, Leukozytose und erhöhte BSG fehlen oftmals, obwohl die Patienten schwer krank wirken. Die Zusammenschau der Symptome in Verbindung mit neurologisch-psychischen Ausfällen, führt zur Verdachtsdiagnose.
In akuten Fällen breitet sich der Abszess und das umgebende Ödem schnell aus und führt zu folgender Symptomatik:
Chronische Abszesse entwickeln sich langsam und machen sich meist durch fokale Krampfanfälle und andere neurologische Herdsymptome wie Hemiparese und Hemianopsie bemerkbar, bevor sich ein Hirndruck entwickelt.
Diagnostik
Folgende Verfahren können zur Diagnosesicherung herangezogen werden:
- Computertomographie
- MRT mit Kontrastmittel: bildgebendes Verfahren der Wahl
- EEG
- Blutkultur
- Punktion, Drainage oder Exzision mit Erregernachweis
- Liquorpunktion: wenig sensitiv und bei raumfordernden Abszessen aufgrund der Gefahr einer zerebralen Einklemmung kontraindiziert.
Differentialdiagnose
Differentialdiagnostisch müssen ausgeschlossen werden:
- Gliome
- Hirnmetastasen
- Störungen der Blut-Hirn-Schranke
- Blutungen
- Sinusthrombose
- subdurales Empyem
Therapie
Ein noch nicht bekapselter oder unter 2,5 cm großer Hirnabszess kann konservativ mit Antibiotika behandelt werden. In anderen Fällen ist die neurochirurgische Intervention indiziert. Das begleitende Hirnödem kann mit Kortikosteroiden behandelt werden. Eine prophylaktische Gabe von Antiepileptika wird aufgrund fehlender Datenlage derzeit (2021) nicht empfohlen.
Prognose
Die Letalität bei akuten Abszessen beträgt etwa 20%, bei chronischen Abszessen 10%.
Literatur
- Leitlinie Hirnabszess, Stand 2021