Psychiatrische Pflege
Definition
Die psychiatrische Pflege ist ein Spezialgebiet der professionellen, beruflichen Pflege. Sie richtet sich an Menschen mit psychischen Erkrankungen oder psychosozialen Beeinträchtigungen und begleitet sie in ihren Anpassungs- und Genesungsprozessen.
Ziele
Der Fokus der psychiatrischen Pflege liegt auf beziehungsorientierter Unterstützung, um das psychische, physische und soziale Gleichgewicht wiederherzustellen und neue Lebensstrategien zu entwickeln. Dazu zählen u.a. die Förderung der Selbstpflege, Hilfe bei Alltagsbewältigung und die Begleitung individueller Genesungsprozesse. Ziel ist es, bestmögliche Behandlungs- und Betreuungsergebnisse sowie eine hohe Lebensqualität der Betroffenen zu sichern.
Die Pflege orientiert sich am Recovery-Modell und richtet Maßnahmen individuell an den vorhandenen Ressourcen aus. Pflegende fördern dabei Eigenständigkeit, Autonomie und die persönliche Entwicklung ihrer Patienten, stets unter Wahrung von Würde und Selbstbestimmung.
Aus- und Weiterbildung
In Deutschland qualifiziert die generalistische Pflegeausbildung seit 2020 für alle Pflegebereiche. Sie vermittelt auch Grundlagen für die psychosoziale Versorgung, jedoch ohne vollständige Spezialisierung während der Grundausbildung.
Im Anschluss können Pflegekräfte durch die etwa zweijährige, berufsbegleitende Fachweiterbildung „Psychiatrische Pflege“ (mit ca. 800 Stunden Theorie und 800 Praxisstunden an anerkannten Weiterbildungsstätten) gezielt Kompetenzen für die Arbeit mit psychisch Erkrankten erwerben. Diese Weiterbildung schließt meist mit staatlicher Anerkennung ab.
Darüber hinaus bieten Hochschulen spezialisierte Bachelor- und Masterstudiengänge für "Psychiatrische Pflege" oder "Psychische Gesundheit" an. Diese akademischen Weiterbildungen vermitteln tiefere wissenschaftliche Kenntnisse und befähigen zu erweiterten Aufgaben.
Arbeitsaufgaben und Anforderungen
Die Rolle und Aufgaben von psychiatrischen Pflegefachpersonen haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt. Bis in die 1980er-Jahre standen häufig aufsichtsführende und assistierende Tätigkeiten im Vordergrund. Heute hingegen übernehmen psychiatrische Pflegefachpersonen vermehrt eigenständige therapeutische Interventionen im Rahmen der multiprofessionellen Behandlungsziele.
Im Berufsalltag sind psychiatrische Pflegekräfte insbesondere für das rasche, professionelle Handeln in akuten Krisen (z.B. Suizidalität, Aggression), die Anwendung von Deeskalationstechniken sowie für die edukative Beratung und Anleitung von Patienten und deren Angehörigen verantwortlich. Sie vermitteln Wissen über Erkrankungen, Therapieoptionen und fördern die Selbstständigkeit im Umgang mit psychischen Belastungen.
Weitere Aufgaben sind:
- Aufbau und Pflege einer professionellen Beziehung zu Patienten
- Beobachtung, Erhebung und Dokumentation des Hilfebedarfs sowie Entwicklung eines individuellen Pflegeplans
- Unterstützung im Alltag (z.B. beim Einkaufen, bei Körperpflege oder Kochen)
- Förderung einer stützenden Tagesstruktur
- Mitwirkung bei der Behandlung, insbesondere im Bereich Medikamentenmanagement
- Beratung und Befähigung der Patienten zur Eigenverantwortung
- Prävention
- Kooperation und Koordination mit weiteren Hilfsangeboten im Sozialraum
Psychiatrische Pflege setzt umfassende Kenntnisse über psychische Störungen, Psychopharmakologie und therapeutische Maßnahmen voraus. Gleichzeitig sind hohe soziale Kompetenzen, Reflexions- und Beobachtungsgabe, Selbständigkeit sowie Flexibilität und Respekt für unterschiedliche Lebensentwürfe unerlässlich.
Besonderheiten
Der Arbeitsplatz Psychiatrie unterscheidet sich von anderen Pflegebereichen. Zentrale Besonderheit ist der Fokus auf psychosoziale Begleitung und Beziehungsarbeit. Während in der somatischen Pflege oft technische und medizinische Tätigkeiten im Vordergrund stehen, nimmt in der Psychiatrie das Zuhören, Reden, der Vertrauensaufbau und die Einschätzung des seelischen Zustands der Patienten mehr Raum ein. Die „unsichtbare“ Beziehungsarbeit ist ebenso bedeutend wie praktische Pflegetätigkeiten. Erfolge zeigen sich meist durch kleine Schritte wie eine Stabilisierung des Befindens oder das Wiedererlangen von Hoffnung und Alltagsstruktur.
Ein weiteres Kennzeichen ist die Unvorhersehbarkeit und Vielfalt der Situationen. Psychische Erkrankungen verlaufen individuell und fordern von Pflegekräften große Flexibilität. Der Berufsalltag reicht von ruhigen Gesprächen bis hin zu akuten Krisen wie Aggressionsvorfällen, Selbstverletzungen oder extremen Rückzugszuständen. Solche herausfordernden Situationen gehören zum Alltag psychiatrischer Pflege.
Die Arbeitsumgebung ist oft offen, weniger technisch ausgestattet und stattdessen besonders auf Sicherheit und Schutz ausgelegt. All diese Besonderheiten erfordern von psychiatrischen Pflegefachpersonen ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten.
Beschäftigungsbereiche
Ein Großteil psychiatrisch Pflegender ist in Fachkrankenhäusern oder psychiatrischen Abteilungen allgemeiner Krankenhäuser tätig. Dabei gibt es spezialisierte Stationen für Erwachsenenpsychiatrie, Gerontopsychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Bereiche für spezielle Störungsbilder (z.B. Suchterkrankungen, Psychosomatik).
Ein weiteres bedeutendes Tätigkeitsfeld ist die forensische Psychiatrie, in der psychisch erkrankte Straftäter betreut werden. Hier sind erweiterte Sicherheitsmaßnahmen und spezielle fachliche Kenntnisse erforderlich, um sowohl die Versorgung als auch den Schutz der Patienten und Mitarbeitenden zu gewährleisten.
Teilstationäre Einrichtungen
Tageskliniken und Institutsambulanzen bieten Behandlungen an, bei denen Patienten tagsüber therapeutische Angeboten wahrnehmen und abends nach Hause gehen. Psychiatrische Pflegekräfte gestalten mit den Betroffenen strukturelle Tagesabläufe, bieten Gruppenangebote und koordinieren Übergänge zwischen Klinik und Alltag.
Ambulante Psychiatrische Pflege (APP)
Im Rahmen der Ambulanten Psychiatrischen Pflege (APP) finden Betreuungsbesuche durch Pflegekräfte im häuslichen Umfeld statt, um Patienten in Krisenzeiten zu stabilisieren oder längerfristig zu unterstützen. Diese Leistung wird ärztlich verordnet, allerdings sind die Zugangsvoraussetzungen restriktiv und das Angebot ist regional begrenzt.
Gemeindepsychiatrische und sozialpsychiatrische Dienste
Psychiatrische Pflegefachkräfte sind auch in außerklinischen Hilfsangeboten beschäftigt. Diese werden oft von Kommunen oder freien Trägern angeboten. Hierzu gehören ambulante Beratung, aufsuchende Hilfen, betreutes Wohnen und Tagesstätten für Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen. Diese Arbeitsfelder tragen maßgeblich zur Versorgung und Teilhabe Betroffener im sozialen Umfeld bei.
Berufsfachverband
In Deutschland ist die Deutsche Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege (DFPP) e.V. die zentrale Interessenvertretung der Psychiatriepfleger. Sie fördert die Fachentwicklung u.a. durch Leitlinien, Best-Practice-Austausch und Beratung der Legislative. Weitere Zusammenschlüsse wie BAPP oder BFLK engagieren sich für spezifische Belange der psychiatrischen Pflege und sind Teil des „Verbändedialogs Psychiatrische Pflege".
Literatur
- Deutsche Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege (DFPP) – Definition und Grundlage Psychiatrischer Pflege. Verbändedialog Psychiatrische Pflege, veröffentlicht 2019.
- DFPP e.V. – Über uns. Online: DFPP-Webseite, abgerufen am 23.09.2025.
- Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) – Pflegebildung: Wege in den Pflegeberuf. Online: dbfk.de, 2020.
- Bundesinitiative Ambulante Psychiatrische Pflege (BAPP) – Studiengänge Psychiatrische Pflege. Online-Übersicht, Stand 2025
- Gühne U. et al. (Hrsg.), S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen – Kapitel 10.2.2: Psychiatrische Pflege in Deutschland, 2. Aufl. 2018
- Schädle-Deininger H., Wegmüller D. – Psychiatrische Pflege. Kurzlehrbuch und Leitfaden für Weiterbildung, Praxis und Studium. Hogrefe, Bern 2017.
- Universität Basel, Institut für Pflegewissenschaft – Pflegende in der Psychiatrie: zufrieden, aber überlastet. Bericht vom 10.04.2024 DOI: 10.5281/zenodo.10884894.
- Bibliomed Pflege – Positionspapier: Psychiatrische Pflege – hoch belastet und wenig beachtet. News-Meldung vom 03.03.2022
- IQTIG-Bericht – Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik 2022. Zitiert nach DGPPN, 2023