Recovery-Modell
Synonyme: Recovery-Orientierung, Recovery-Konzept
Englisch: recovery model, recovery approach, recovery concept
Definition
Das Recovery-Modell ist ein Konzept für die psychiatrische Pflege, das die persönliche Gesundung ("personal recovery") von Menschen mit psychischen Erkrankungen in den Mittelpunkt stellt. Im Zentrum steht dabei nicht die vollständige Symptomfreiheit, sondern das subjektive Wiedererlangen von Kontrolle, Hoffnung und Teilhabe trotz fortbestehender Symptome.
Hintergrund
Das Recovery-Modell in der Psychiatrie hat seinen Ursprung sowohl in der klinischen Forschung als auch in Selbsthilfebewegungen psychisch erkrankter Menschen. Letztere forderten eine Abkehr von der traditionellen Sichtweise, die psychische Erkrankungen als chronisch und defizitär betrachtet.
Das Modell gewann im Laufe der Zeit zunehmenden Einfluss auf psychiatrische Versorgungssysteme, insbesondere im angloamerikanischen Raum, und wird inzwischen auch in Deutschland in Versorgungskonzepte integriert.
Kernelemente
Die zentralen Domänen werden innerhalb des Recovery-Modells häufig mit CHIME abgekürzt:
- "Connectedness" – Aufbau und Erhalt unterstützender Beziehungen, Peers und sozialer Teilhabe
- "Hope" – Hoffnung und Zuversicht fördern, positive Zukunftsbilder stärken
- "Identity" – Stigmatisierungen entgegenwirken, Selbstbild jenseits der Diagnose stärken
- "Meaning" – Individuelle Sinnquellen, Rollen und Alltagsziele klären
- "Empowerment" – Selbstbestimmung, Rechte, Ressourcen und geteilte Entscheidungen unterstützen
Umsetzung in der Praxis
Die Umsetzung des Recovery-Modells in der psychiatrischen Versorgung beinhaltet strukturelle und kulturelle Veränderungen, z.B.:
- Peer-Support: Einbeziehung von Genesungsbegleitern
- Trialogische Arbeit: gleichberechtigter Dialog zwischen Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen
- Stärken- und ressourcenorientierte Pflege-/Therapieplanung: im Sinne der Pflegeplanung (nach SMART) werden Pflegeziele mit den dazugehörigen Pflegemaßnahmen gemeinsam im Team unter aktiver Einbeziehung des Patienten formuliert und evaluiert
- Krisenplanung: Klärung und Nennung von Frühwarnzeichen, Deeskalationstechniken (z.B. Skills), Zwangsvermeidung
- Versorgungskoordination: Wohn- und Arbeitsrehabilitation, Peer- und Selbsthilfeangebote außerhalb des stationären Settings
Leitlinien
Literatur
- Leamy et al., Conceptual framework for personal recovery in mental health: systematic review and narrative synthesis, British Journal of Psychiatry, 2011
- Anthony, Recovery from mental illness: The guiding vision of the mental health service system in the 1990s, Psychosocial Rehabilitation Journal, 1993
- Deegan, Recovery: The lived experience of rehabilitation, Psychosocial Rehabilitation Journal, 1988
- Le Boutillier et al., What does recovery mean in practice? A qualitative analysis of international recovery‑oriented practice guidance, Psychiatric Services, 2011
- WHO, Guidance on community mental health services: Promoting person‑centred and rights‑based approaches, WHO, 2021
- Le Boutillier et al., Staff understanding of recovery‑orientated mental health practice: a systematic review and narrative synthesis, Implementation Science, 2015