Modelllernen
Synonyme: Lernen am Modell, Beobachtungslernen, Nachahmungslernen
Englisch: observational learning
Definition
Das Modellernen bzw. Lernen am Modell ist eine kognitivistische Lerntheorie von Albert Bandura und bezeichnet das Lernen mittels Beobachtung und Imitation von Vorbildern (Modell).
Geschichte der Lernforschung
In der Lernpsychologie gibt es 3 prinzipale Lerntheorien:
- die klassische Konditionierung
- die operante Konditionierung und
- das Modellernen
Die ersten 2 - die klassische und die operante Konditionierung sind rein behavioristische Theorien. Es geht in diesen Theorien um Input- und Output-Schemata (S und R). Hauptelemente der klassischen Konditionierung sind zunächst neutrale Reize (Stimuli), die mit anderen, negativen oder positiven Reizen gekoppelt werden und dadurch selbst verhaltenswirksam werden, also ein bestimmtes Verhalten auslösen. Die Klassische Konditionierung ist ein S-R Lernen.
In der operanten Konditionierung geht es darum, dass auf eine bestimmte Reaktion (R), also auf ein Verhalten, verstärkende oder bestrafende Reize (S) folgen und diese das Verhalten in die gewünschte Richtung lenken (positive bzw. negative Verstärkung) oder zur Extinktion des Verhaltens führen (Bestrafung). Die operante Konditionierung ist ein R-S-Lernen
Das Lernen am Modell nach Bandura ist der kognitiven Wende entsprungen und untersucht die Lernprozesse unter Inbetrachtnahme der von den Behavioristen negierten black box. Anders formuliert, fokussiert das Beobachtungslernen auf kognitive Prozesse, die zwischen Reizdarbietung und Reaktionsausführung liegen.
Kognitive Voraussetzungen des Modellernens
Beim Lernenden müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit es erfoglreich zum Lernen via Beobachtung kommt. Diese Voraussetzungen sind:
- Aufmerksamkeitsprozesse
- Gedächtnisprozesse
- Motorische Fertigkeiten bzw. motorische Ausführung
- Motivation
Aufmerksamkeit
Am Anfang des Modellernens steht die Aufmerksamkeit. Die kardinale Aufgabe der Aufmerksamkeit besteht in der selektiven Wahrnehmung, was wiederum eine selektive Verarbeitung zur Folge hat. Das Kind muss zunächst auf ein interessantes Verhalten aufmerksam werden, damit es es speichern und bei richtiger motivationaler Konstellation motorisch ausführen kann.
Gedächtnis
Auch das Gedächtnis spielt im Modellernen eine wichtige Rolle. Das durch die Aufmerksamkeit festgehaltene Verhaltenmuster muss zunächst gespeichert und im Langzeitgedächtnis zwischengelagert werden, bis es zur Performanz des neu gelernten Verhaltens kommt.
Motorik & Intelligenz
Motorische Ausführung kann ein langwieriger Prozess sein, z.B. das Kind hat oft gesehen, wie sein älterer Bruder Fahrrad fährt, durch häufiges Beobachten ist das Radfahren nun in seinem repräsentativen Verhaltensrepertoire angekommen, aber es gelingt nicht direkt beim ersten Versuch, das Rad zu fahren. Also sollten wir hier weniger von motorischer Ausführung, als vielmehr von einer motorischen Reife oder einer motorischen Performanzfähigkeit sprechen.
Motivation
Besonders wichtig für alle Lernprozesse sind die motivationalen Aspekte, Banduras Lerntheorie bildet in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme. Das Kind wird viel eher jenes Verhalten modelllernen, welches schon beim Modell zur positiven Verstärkung seitens der Umwelt führt. Diese stellverstretende Verstärkung führt beim Lernenden dazu, dass er sich in seiner Motivation, das Verhalten auszuführen, bestärkt fühlt. Ebenfalls wird mehr und besser von Modellen gelernt, die dem Lernenden sympathisch sind und/oder wenn das Modell eine Autorität für den Lernenden darstellt.
Behaviorismus vs. Kognitivismus
Bandura nimmt eine strikte Trennung zwischen Lernen und Ausführen vor. Seiner Auffassung nach kann gelernt werden, ohne dass das Verhalten direkt gezeigt wird. Hier sieht man den großen Unterschied zu den behavioristischen Konditionierungstheorien: Im Konditionierungslernen gilt das Verhalten erst dann als gelernt, wenn es auch gezeigt wird, der Tatsache, dass zwischen Inputs und Outputs kognitive Prozesse stattfinden, wird keine Rechnung getragen. Banduras Sicht ist rein kognitivistisch, weil er davon ausgeht, dass kognitive Prozesse, wie Aufmerksamkeit und Speicherung ausreichend sind, um eine neue Verhaltensweise zu erwerben. Die Ausführung des gelernten Verhaltens ist eine Funktion der Motivation und der motorisch-intelektuellen Fertigkeit.
Auswirkungen auf das Verhalten
Das Beobachtungslernen kann das Verhalten des Lernenden in vielerlei Hinsicht beeinflussen. Es kann zum Erwerb einer ganz neuen Verhaltensweise kommen, oder eine Verhaltensweise, die für den Lernenden schon immer interessant war, aber es nie zur Ausführung kam, kann zur motivational-motorischen Reifung gebracht werden.
Das Lernen am Modell kann folgende Effekte auf das Verhalten haben:
- einen modellierenden
- einen hemmenden
- einen enthemmemden und
- einen auslösenden Effekt.
Durch den modellierenden Effekt werden durch den Beobachter für ihn bisher neue Verhaltensweisen gelernt.
Der hemmende Effekt führt dazu, dass der Beobachter die Häufigkeit eines bereits erworbenen Verhaltens reduziert, weil er am Modell negative, aversive Konsequenzen erlebt hat.
Beim enthemmenden Effekt ist es genau umgekehrt: Es werden bereits gelernte Verhaltensweisen häufiger gezeigt, weil der Beobachter sieht, dass das Modell mit diesem Verhalten eine positive Resonanz bekommt.
Wenn der Beobachter ein zuvor gelerntes Verhalten dann zum ersten Mal zeigt, wenn er es am Modell gesehen hat, dann spricht man von einem auslösenden Effekt.
Fazit
Die größte Bedeutung von Banduras Lerntheorie besteht darin, dass zum ersten Mal kognitive Prozesse in den Vordergrund treten. Die Behavioristen waren strikte Reiz-Reaktions-Beobachter und fanden die dazwischen geschalteten Prozesse unwichtig, uninteressant oder unerklärbar (black box). Die Konditionierungstheorien haben natürlich weiterhin ihre wissenschaftliche Berechtigung und Geltung, aber komplexere Lernprozesse werden durch sie kaum erklärt.
Kognitivistische Theorien konzentrieren sich eben auf die black box, also auf die Kognition. Sie demonstrieren, dass Menschen soziale Wesen sind und im Rahmen des sozialen Daseins auch lernen können, und zwar auf eine soziale Art und Weise. Die meisten Verhaltensweisen, besonders in den ersten Jahren eines Menschen, werden durch soziales Lernen, wie das Beobachtungslernen erworben.
Ein weiterer Verdienst von Banduras Theorie ist die Trennung zwischen Lernen und Ausführen. In dem er diese Aspekte voneinander trennt, postuliert Bandura, dass das menschliche Lernen über die puren Reiz-Reaktions-Schemata hinausgeht und dass der Mensch in der Lage ist, Informationen langfristig zu speichern (Gedächtnis) und Gelerntes erst im richtigen Moment (Motivation & motorische Reife) zu zeigen.
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